Mittwoch, 18. November 2009

Befreiungstheologie

M. legte im Rahmen der Synode eine zwar nicht überbordende aber doch für alle Teilnehmenden ohne weiteres ersichtliche Promiskuität an den Tag, es schien sich um einen Teil ihres theologischen Verständnisses zu handeln, Befreiungstheologie eben. Daß ich nicht interessiert war, nahm sie mir in keiner Weise übel. Es könne mich nicht überzeugen, so führte ich aus, daß die Kirche sich einzumischen habe, gemeint war natürlich das Feld der Politik, solange von Politikern und Vertretern aus Wirtschaft und Finanzwelt keine Statements zu Christologie und Pastoraltheologie erwartet würden. Alles eine Frage des Stolzes. Wer sich einzumischen habe und wer nicht, zeige lediglich, wie die Macht- und Bedeutungsverhältnisse inzwischen liegen, wer wem nachstiefeln muß, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden in der Öffentlichkeit. Zu einer angemessenen Vertiefung dieser Fragen kam es aber nicht, da M. immer wieder von diesem und von jener Synodalen im Vorbeigehen angesprochen und abgelenkt wurde in dieser Sitzungspause. Vielleicht ist Promiskuität auf Synoden der gebotene wenn nicht einzige Weg zu ungestörten Zweiergesprächen über Fragen der theologischen Theorie und pastoralen Praxis.

Mittwoch, 4. November 2009

Daneben

Ich wende mich ab, ich verlasse die Gehsteige der Welt ....

Luhmanns berühmter Satz, wonach wir alles, was wir über die Welt wissen, aus den Medien wissen, erklärt noch nicht, was wir erfahren und auf welche Weise und was mit uns dabei geschieht. Da alles, so kann man annehmen, in keinem Fall wenig ist, mag die immer wieder genannte übermäßige Informationsflut in den Sinn kommen, ein Reichtum, dem wir nicht gewachsen sind, scheint es. Aber so viel wir in der Tat an einem Medientag hören und sehen müssen in den Zeitungen und aus den Rundfunkanstalten, es scheint am Abend nur wenig, fast nichts gewesen zu sein, alles auf der gleichen Ebene, auf einem Gebiet, kaum größer als ein Fußballfeld, und zumal die Gegensätze – Steuern rauf oder Steuern runter, rein nach Afghanistan oder raus aus Afghanistan, dafür oder dagegen – von einer Art, bei der die Einheit der Differenz immer in ermüdender Reich- und Sichtweite bleibt. Und all das wird vorangetrieben von einer großen, in der Sprachform der Gutrede gestalteten Welle der Selbstaffirmation, in der Kritik in der dominierenden flachen Bedeutung des Begriffes nur mittreibt. Autoren wie Luhmann werden zu Rettern, die uns herausholen aus dem ungemütlichen Treiben. Ab und zu aber reicht auch das nicht und es wird nach der noch stärkeren Medizin verlangt von Leuten wie Gómez Dávila oder Emil Cioran, die ganz und gar daneben stehen.

Beläßt man es in diesem Zusammenhang bei den beiden, so ist unmittelbar wohltuend, daß sie auf den ersten Blick, bis auf den Umstand, daneben zu stehen, wenig miteinander gemein haben, wir können daher hoffen, es gibt unendliche Möglichkeiten, daneben zu stehen. Dávila, ferventer Christ und Katholik von einer Ungerührtheit, die auch den Papst das Fürchten lehren kann, Cioran, Sohn des Metropoliten von Hermannstadt, fast immer auf nicht ganz übersichtlichen Feldzügen gegen die Religionen und bevorzugt das Christentum. Angriffe werden gegen das Alte Testament gefahren: L’injonction criminelle de la Genèse: Croissez et multipliez – n’a pu sortir de la bouche du dieu bon. Soyez rares, aurait-il plutôt suggéré, s’il avait eu voix au chapitre. Jamais non plus il n’a pu ajouter les paroles funestes : Et remplissez la terre. On devrait, toute affaire cessante, les effacer pour laver la Bible de la honte de les avoir recuellies. Nicht weniger heftig fährt er gegen das Neue Testament : L’incarnation est la flatterie la plus dangereuse dont nous avons été l’objet. Elle nous aura dispensé un statut démesuré hors de proportion avec ce que nous sommes. En haussant l’anecdote humaine à la dignité de drame cosmique, le christianisme nous a trompé sur notre insignifiance. - Nicht der verbreitetste Vorwurf gegen das Dreigespann der Christengötter, der eher darauf zielt, daß der gute Initialeinfall des Paradieses schon bald drangegeben wurde, aber eine Vorwurfshaltung, die durchaus auch ihre Jünger hat, der in diesen Tagen versotrbene Claude Lévi-Strauss, um nur einen zu nennen, hätte wohl unterschrieben. Und noch der kleine vergiftete Leckerbissen für alle Christen, die Bach lieben: Wenn es einen gibt, der Bach alles verdankt, dann ist es Gott. Hätte Blumenberg das als sogenanntes Abstract seiner Matthäuspassion akzeptieren können ? - Wenn Cioran allerdings festhält: C’est parce qu’il ne peut plus détester les autres religions, c’est parce qu’il les comprend, que le christianisme est fini: la vitalité dont procède l’intolérance lui fait de plus en plus défaut. Or, l’intolérance était sa raison d’être. Pour son malheur, il a cessé d’être monstrueux – mag er den alten Boden beschreiben, den Dávila mit gutem Grund nicht verlassen will, auch wenn er ihn natürlich ganz anders beschreibt.

Updike hat Cioran einen frustrierten Mönch genannt, ohne sich allerdings im Romanwerk unmißverständlich als Kenner des Mönchischen auszuweisen. Cioran selbst bezeichnet sich als Mönch ohne Gottes-Hypothesen und ohne den Hochmut dessen, der einsam dem Laster frönt. Der Mönch ist also unbestritten, das Epitheton aber vielleicht nicht besonders treffend, eher der vergessene, der verlassene Mönch, der Mönch daneben. Der Mönch hat seinen Platz nicht verlassen, aber Gott und die Welt haben sich weggedreht. Aus dem guten Gott ist der mauvais démiurge geworden, les horreurs dont l’univers regorge font partie intégrante de la substance, sans elles il cesserait physiquement d’exister.

The turn of the screw zum Nihilismus, aber im letzten Augenblick stockt die Drehung: Comment concevoir qu’une prière soit autre chose qu’un monologue, qu’une extase ait une valeur au-delà d’elle-même, que notre salut ou notre perte importe à un dieu ? Et cependant c’est ce qu’il faudrait pouvoir admettre, ne fut-ce qu’une seconde par jour. In diesem schmalen Raum vor der Vollendung der Drehung verbringt Cioran sein Leben, rasend, und nicht immer ist klar, in welche Richtung er dreht. Nous sommes tous au fond d’un enfer dont chaque instant est un miracle. Der Mönch ist kein Menschenfreund, eher ein unangenehmer Zeitgenosse: Quand je passe des jours et des jours au milieu des textes où il n’est question de sérénité, de contemplation, l’envie me prend de sortir dans la rue et de casser la gueule au premier passant. Und von der Zeitgenossenschaft hat er auch eine eigene Meinung: Qu’est-ce qu’un contemporain? Quelqu’un qu’on aimerait tuer, sans trop savoir comment.

Ciorans Gedanken sind von der Art, wie sie die Werke der Dichter tragen, ausgesprochen aber die Textur der Dichtung verletzten würden. Genau an dieser Stelle, knapp unter der Oberfläche der Dichtung, übernimmt Cioran die Angelegenheit zur weiteren philosophischen Bearbeitung, wen kann es dann wundern, wenn Paul Celan den Précis de décomposition als Lehre vom Zerfall ins Deutsche übertragen hat. Sebalds Werk etwa ist, wenn man so will, voller verdeckter Cioranismen, mit Beckett, jeder auf seiner Seite, hat Cioran sich unmittelbar verstanden, in Valéry hat er einen illegitimen Grenzgänger zwischen Dichtung und Philosophie gesehen.

Dávilas Scholien werfen ungerührt Steine in den Weg, Tausende, oft hat man nichts als einen Schmerz im Fuß, nicht weniger oft aber blitzt es auf im Kopf, Cioran schüttelt jeden Kragen, dessen er habhaft werden kann, und anschließend findet der Geschüttelte die alte Blickrichtung nicht wieder.

Seine ersten sechs Bücher hat Cioran in rumänischer Sprache verfaßt: Pe culmine disperarii. De ce nu putem ramine inchisi noi insine? De ce umblam ... Jede Menge für die Tastatur schwer aufzufindender diakritischer Zeichen müßten ergänzt werden, romanisch, alles scheint zum Greifen nah, und verschwindet doch im Nebel, wenn man diese Sprache nicht ausdrücklich erlernt hat. Weit und breit sehe ich nichts als lauter von Idealen durchdrungenes Vieh, das sich zusammenrottet, um seine Ideale herauszublöken. Auf der Suche nach einem wahrhaft Einsamen schreite ich die Jahrhunderte ab - und finde nur den Teufel, kann nur auf ihn eifersüchtig sein. Alles, was wir über die Welt wissen, wissen wir aus den Medien, die Erfahrung des Nichts aber ist unsere eigene.