Freitag, 20. August 2010

Europäische Neuordnung

Im


ist zu lesen:

Selon cette théorie l’ancestre de la langue basque aurait été parlé dans toute L’Europe occcidentale avant la venue par vagues successives des peuplades indo-européennes. Cette hypothèse a été plus récemment élaborée à partir des données de l’étude génétique des populations européennes actuelles. On y observe une concentration décroissante et régulière à partir du Pays basque vers le reste de ‘Europe d’un certain type d’AND. Or, l’on sait que la population européenne durant la dernière glaciation s’est réfugiée dans le Bassin aquitain ainsi que les Pyrénées, seules zones encore habitables. Chose que la topomymie tendrait à démontrer.



À partir du Pays basque vers le reste de ‘Europe. - Falls es der Toponymie gelingen sollte, zu den Ergebnissen der DNA-Analyse aufzuschießen, wären Europa und das Christliche Abendland in der jetzigen Form nicht mehr zu halten. Der ETA wäre die Stoßrichtung genommen, und allenfalls bliebe die Frage, ob die Basken bereit wären, den Rest Spaniens weiterhin als Teil von Euskal Herria zu dulden. Alle europäischen Institutionen wären umgehend von Brüssel und Straßburg nach Bilbo zu verlagern, Baskisch, als die einzig wahrhaft europäische Sprache der einzig wahren Europäer, würde obligatorisch an allen Schulen von Lissabon bis zum Ural, die Ungarn, Finnen, Esten und, horribile dictu, die Türken, die alle bereits die längste Zeit behende agglutinieren, hätten einen enormen Startvorteil. Europa hätte sein Herz und seine Mitte, hätte zu sich gefunden.




Donnerstag, 12. August 2010

Pyrenäenmütze

Dos senyors

Munduan ez da guizonic nic ana malura debenic


Abgesehen von den Feriengebieten an der Küste kennen und wissen viele von Spanien nicht mehr als von Polen, einem Land, von dem die Deutschen bekanntlich wenig wissen. Zwei Bevölkerungsgruppen, die Basken und die Katalanen, so hat man gehört, fühlen sich dem spanischen Land nicht recht zugehörig. Das mag auf das Pyrenäengebirge - für die einen Pirinioak, für die anderen Pirineus - zurückzuführen sein, das sie sich teilen. Das um einiges heftigere Bestreben des Basken nach Eigenständigkeit mag dem für einen Augenblick einleuchten, der die Welt weniger politisch als philologisch erlebt, denn das Baskische hat unbestritten mit dem Spanischen ebensowenig Verwandtschaft wie mit irgendeiner anderen Sprache; von daher bestünde für die Basken ein Anspruch auf uneingeschränkte Isolation, während den Katalanen unter dem gleichen Gesichtspunkt nur eine maßvolle Absonderung zusteht. Beide, Katalanen und Basken, haben traditionell eine Vorliebe für die gleiche Art von Kopfbedeckung, für die einen die Boina, für die anderen der (die, das: das Baskische kennt kein grammatisches Geschlecht) Txapel. Die deutsche Baskenmütze ergreift unnötig Partei, man sollte von Pyrenäenmütze sprechen. Sowohl Pio Baroja, den Basken, als auch Josep Pla den Katalanen hat man, nachdem sie ein gewisses Alter erreicht hatten, mit der Pyrenäenmütze vor Augen. Reicht das hin, um sie gemeinsam zu betrachten?

Bei Baroja, dem um einiges Älteren, dominiert das fiktionale Werk, Pla hat die Fiktion - wie die wenigen Ausnahmen zeigen: zu Recht - gemieden. Pla hat den Petit món del Pirineu durchwandert, Baroja Blick geht hinaus aufs Meer, folgt den Pilotos de altura. Was Pla der pagès ist, ist Baroja der marinero. Immerhin wagt sich auch Pla mit Un senyor de Terra del Foc weit hinaus übers Meer.

Ist aber der Unterschied etwa zwischen Fiktion und Biographie entscheidend? Plas Rafael Puget gewidmetes Buch Un senyor de Barcelona besteht aus einer Galerie von Personen, denen Puget in seinem Leben begegnet ist, der General Savalls, Ramon Casas, Ramon Casellas, Emili Junoy, Vazques Mella &c. Barojas Shanti Andía beginnt mit Kapitelüberschriften wie Mi abuela, La tía Ursula, Lope de Aguirre, Mi tío Juan. Die Personen sind mit wenigen Strichen gezeichnet, die sie nicht umreißen, sondern ihnen von Innen den notwendigen Halt geben für freie Bewegung. Sie werden emporgehoben für einen Augenblick, daß der Leser sie erkenne, und wieder frei gelassen. Es kommt nicht zu den ermüdenden Beziehungsgeschichten, die heute dominieren, so als würden die Verlorenen der Jetztzeit einander suchen mit giftigen Tentakeln, con sus horribles brazos llenos de ventosas. Die Grenze, an der die Figuren sich ernst nehmen und nicht ernst nehmen, ist bei beiden die gleiche. He tenido fama de indolente y optimista, de indiferente y apático, heißt es bei Baroja. Die Menschen haben eine enorme Bewegungsfreiheit untereinander und gegenüber ihrem Autor, sind von großer Desinvolture und Ungezwungenheit und vertreten gern haarsträubende Theorien: Según él, en la raza blanca no hay más que dos tipos: el cabeza redonda y el cabeza larga: Caín y Abel. - Der eine über den anderen: Baroja és un paisatgista finíssim, a la manera del realisme dels impressionistas i un retratista fascinador, viu, animadíssim.

Kann man die Menschen auch heute noch so schildern? Las condiciones en que se desliza la vida actual hacen la mayoría de la gente opaca i sin interés. Hoy, a casi nadie le occurre algo digno de ser contado.
Muchas veces me he figurado ser unicamente dos pupilas. Wem würde da nicht der Blick des Selysses in den Sinn kommen.


Dienstag, 10. August 2010

Crêuza de mä

Man hört ein Lied in einer Sprache, die man nicht versteht, hat sich aber kundig gemacht über die Bedeutung des Titels. Das Lied geht nun schon über fünf Minuten, spärliche Verständnisbrocken aus benachbarten Sprachen, und dann, endlich, die musikalisch betonten Titelworte: Crêuza de mä. Ein Licht bis zu Horizont, umfassendes Verständnis, die ligurische Küste liegt strahlender da als für alle, die dort gewesen sind. Kann man sich so die Offenbarung vorstellen, als plötzliches Verstehen einer Sprache, die man nicht kennt?


Gleich darauf bricht eine Frauenstimme in einen grellen Schreigesang aus, lang gezogene, kaum modulierte Schreie, die traumwandlerisch ihren Ton treffen und plötzlich abbrechen. Wie könnte man schöner auf die Offenbarung antworten.

Mittwoch, 4. August 2010

Tenente Drogo

Il periodo non mi è stato detto

Das Morphem ESK ist keinem anderen Dichter auch nur annähernd so zugewachsen wie Kafka, um sich von dort über die Welt zu verstreuen und Myriaden von Welteindrücken und Literaturerzeugnissen zu bezeichnen, wenn sie nur auf die eine oder andere Weise ins Absonderliche und Ungewohnte ragen. Die Anwendung auf Buzzatis Tartarenbuch wäre längst nicht die fehlgehendste.


An einem entlegenen Ort, einem Schloß, einem Fort erscheint ein noch junger Landvermesser, ein noch junger Leutnant für eine zeitlich eng bemessene berufliche Tätigkeit, schon gleich aber wissen wir, er wird diesen Ort nicht wieder verlassen. – Wir brechen ab, noch manche Verwandtschaft wäre zu nennen, aber zum einen fördert jede Ähnlichkeit nicht weniger als fünf Verschiedenheiten zu Tage, und zum anderen ist der Vergleich mit Kafka fast regelmäßig niederdrückend für den Verglichenen.


Aber Literatur aus Literatur entsteht und Lesen bedeutet ganz wesentlich auch Vergleichen, wir können daher gar nicht anders, als an Joseph Roths galizische Garnisonsstädte denken, an Puschkins Hauptmannstochter, an John Fords Außenpostenfilme, die Musik zum Film Il deserto die Tartari aber ist von Ennio Morricone, und damit sind wir beim Lied vom Tod.


In der Eingangsszene der Moments Musicaux, die uns wie einer der Filmeingangszenen Sergio Leones nachgezeichnet erscheint, heißt es: Seine vom Star getrübten Augen, die er gleich einem Blinden etwas aufrecht gegen die Helligkeit gerichtet hielt, waren von derselben eisgrauen Farbe wie der Pastis in seinem Glas. Er blickte nur immer unverwandt nach oben und drehte dabei gleichmäßig mit dem Daumen und dem Zeigefinger seiner rechten Hand den sechskantigen Stiel seines Glases Ruck für Ruck weiter, so gleichmäßig, als habe er in seiner Brust statt eines Herzens das Räderwerk einer Uhr. Auch bei Buzzati stoßen wir schon bald auf den hohlen, unaufhaltsamen Takt des Todes: Ploc! eccolo ancora l’odioso suono. È la cisterna, signore tenente, ripose il soldato, non c’è niente da fare. Tutti si lamentano, ma non si è potuto far niente. - Cominciava per lui l’irreparabile fuga del tempo.


Wachen, nicht schlafen, ist ohnehin die Devise im Fort, da fällt das schlafraubende Tropfgeräusch wenig ins Gewicht. Für den jungen Leutnant Drogo entleert sich die Welt schnell von allem, was bislang sein Leben ausgefüllt hatte, das Leben, in das er eigentlich nach wenigen Wochen, allenfalls Monaten zurückkehren wollte. Es ist eine mönchische Welt, in die er eingetreten ist, eine Welt der Entsagung, rinuncia. Während aber die Welt der Mönche geltend macht, auf ein Zentrum der Fülle ausgerichtet zu sein, verwalten die militärischen Rituale im Fort einzig das Nichts. Es ist eine Art Strafkolonie der Freiwilligen, daß man aufgrund eines Irrtums, sbaglio, hier sei, eine reine Schutzbehauptung. Der Blick geht hinein in den leeren Raum der Tartarenwüste, ohne den Horizont zu erreichen. Nach Jahren ist es ein gesatteltes Pferd ohne Reiter, das für Aufregung sorgt, wiederum Jahre später führen winzige Punkte, nur erahnte Bewegungen am nördlichen Horizont der Wüste zu riesigen und gewagten Deutungsgemälden.


Von den Bewohnern des Nordens, den Feinden weiß man wenig. Sprechen kann man mit ihnen nicht. Die Sprache des Südens kennen sie nicht, sie haben kaum eine eigene. Unter einander verständigen sie sich ähnlich wie die Dohlen. Immer wieder, käme man ihnen nahe, hört man diesen Schrei der Dohlen. Die Lebensweise, die Einrichtungen der Menschen im Süden sind ihnen ebenso unbegreiflich wie gleichgültig. Oft machen sie Grimassen, dann dreht sich das Weiß ihrer Augen und Schaum schwillt aus ihrem Munde, doch wollen sie damit weder etwas sagen noch auch erschrecken; sie tun es, weil es so ihre Art ist. Was sie brauchen, nehmen sie. - Eine einzige Hoffnung hält die Bewohner des Forts aufrecht, die auf einen Krieg, und der ewige Friede ist ihre Strafe.


Die wilden Interpretationen der winzigen Punkte werden wahr, die Bewohner des Nordreiches haben eine Straße gebaut und greifen das Fort an, um sich zu nehmen, was sie brauchen. Im gleichen Augenblick aber wird Drogo, inzwischen mehr als fünfzig Jahre alt, Major und stellvertretender Kommandant, krank auf den Tod aus dem Fort in die Stadt transportiert. Betrogen um den Krieg, der einzigen Hoffnung und dem einzigen Sinn seines Lebens, muß er sich dem wahren Feind stellen, dem ultimo nemico, von dem es heißt, er sei einmal besiegt worden - aber nicht alle sind davon überzeugt -, dem Feind, der sich nimmt, was er braucht. - Wir Älteren können kaum begreifen, wie ein junger Mensch sich entschließen kann, ins nächste Dorf oder Fort zu reiten, ohne zu fürchten, daß - von unglücklichen Zufällen ganz abgesehen – schon die Zeit eines gewöhnlichen, glücklich ablaufenden Lebens für eine solchen Ritt bei weitem nicht hinreicht. – Alle Wege führen zu Kafka zurück.


Montag, 2. August 2010

Das Antlitz der Dichter

Mit Bildfragmenten von Josep Maria Melció i Pujol, den wir vor langen Jahren kennenlernen durften



Die Auffassung, jedermann sei ab einem gewissen Alter selbst verantwortlich für sein Aussehen, sein Gesicht, findet kaum Widerspruch, und auch daß es Menschen mit traditioneller, Wetter und Wind ausgesetzter Lebensweise leichter falle, die in dieser Feststellung enthaltene Verpflichtung zu erfüllen, findet Zustimmung. Fast schon wie der Stein sind sie den bildnerischen Unbilden der Welt ausgesetzt, und wenn größere Störungen aus dem Innenleben ausbleiben, kann die Formung eigentlich gar nicht mißlingen.


Das Gesicht der Dichter sind üblicherweise weniger den atmosphärischen Einflüssen ausgesetzt als dem fortwährende Hauch der Sätze. Was aber sollte ein Gesicht mehr prägen als dieser ständige sanfte Druck auf seine Innenwand, schließlich werden auch in der Karosserietechnik störende Dellen vorsichtig durch Druck von der Innenseite her beseitigt.


Der katalanische Dichter Josep Pla ist ein Glücksfall für unsere Überlegungen. Plas Gesichtsmaterial ist das der Landbevölkerung seiner Heimat, sein Gesicht ist herb, souverän, frei, abweisend und unendlich freundlich. Er hat sein Land, die kleine Pyrenäenwelt, in allen Richtungen durchwandert und sich den prägenden Außeneinflüssen ausgesetzt. In einem gewissen Alter, dem, auf das es ankommt, hat er sich die Boina offenbar dauerhaft aufgesetzt und war seither unter der Bauernschaft nicht mehr erkenntlich. Wer aber seine Bücher liest, dem wird es nach kurzer Zeit nicht mehr gelingen, das Antlitz des Dichters von den Sätzen zu unterscheiden.


Pla hat er die kleine Pyrenäenwelt vollständig in Sätze umgeformt und Bücher geschrieben mit Titeln wie Un petit món del Pirineu, Cadaqués, Mieres i la Garrotxa, Olot, Les valls d’Andorra, De l’Empordanet a Andorra und De l’Empordanet a Barcelona. Er hat das Land zu jeder Zeit des Jahres durchwandert: De l’any nou a l’estiu und De l’estiu a fi d’any – und dabei der ländlichen Bevölkerung besondere Aufmerksamkeit geschenkt: El pagès i el seu món. Plas Gesicht unterlag einer Oberflächenbarbeitung von außen durch das Land und von innen durch die Sätze über das Land. Wer das Land Katalonien liebt, wird die Sprache dieses Landes lieben, wird Plas Bücher lieben, wird sein Gesicht lieben. Wer die Sprache liebt, wird Plas Bücher lieben, wird sein Gesicht lieben, wird das Land Katalonien lieben. Wer Plas Bücher liebt, wird sein Gesicht &c., die totale zirkulare Permutation.


Was sich bei Pla besonders eindrücklich zeigt, hat allgemeine Gültigkeit. Je mehr und tiefer wir einen Dichter lesen, desto nachdrücklicher wird uns seine Gestalt und zumal sein Antlitz zum Abbild seiner Texte, so als liege dort ihr Geheimnis verborgen, so als könnten wir sie auch unmittelbar dort entziffern. Auch Überlegungen, das Hirn werde beim Lesen literarischer Texte, abweichend von seiner üblichen Arbeitsweise, zu einer Art unmittelbarem Sinnesorgan verhindern nicht eine visuelle Sehnsucht, die sich vor allem auf das Antlitz des Dichters richten mag. Viele Leser werden ein Erlebnis dieser Art haben, aber jeder wird die Einheit von Text und Antlitz anders erleben, wie auch schon jeder die Texte anders erlebt. Wir lesen und können und wollen uns das Gesicht des Dichters nicht fortdenken. Wer wollte die Geheimnisse der Mrs. Dalloway oder des Leuchthauses in einem anderen Gesicht entziffern als in dem Virginia Woolfs. Wer wollte bei der Lektüre des Stechlin oder der Effi Briest darauf verzichten, Fontanes Gesicht aufzurufen. Wer sich aber mit dem Gesicht eines Dichters nicht anfreunden kann, wird ihn auch nicht mehr lesen, und wenn er ihn weiter liest, wird er sich anfreunden mit dem Gesicht. Mit der Schönheit des Alltags hat das wenig zu tun, Nichtleser werden Updike, um ihn zu nennen, wohl nicht als schön empfinden, seinen Lesern aber ist sein Gesicht von den Texten erleuchtet. Der Leser wird ein Bild des Dichters aus dem von ihm selbst verantworteten Alter wählen - bei Fontane ohne besondere Mühe, denn der hat erst wirklich begonnen, als er uneingeschränkte Hoheit hatte über sein Gesicht - freilich aber eine Ausnahme machen, wenn einer wie Novalis stirbt mit dem Aussehen eines jungen Engelsanwärters, wie wir ihn einzig kennen.