Sonntag, 5. Juni 2011

Bild einer Ausstellung


Im Katalog kommt Goethe zu Wort: Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen; darum scheint es eine Torheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen. Der Großmeister fährt dann beschwichtigend fort: Doch indem wir uns darin bemühen, findet sich für den Verstand so mancher Gewinn, der dem ausübenden Vermögen auch wieder zugute kommt. Unabhängig vom versprochenen Gewinn kann man sich fragen, was wir denn wohl vom Unaussprechlichen wüßten, wenn wir es nicht fortwährend immer wieder besprechen würden, und zum anderen sind zumindest in der Wortkunst Sprache und Unaussprechliches ununterscheidbar eins. Wer einen künstlerischen Text als eine Abfolge von Mitteilungen und Aussagen liest, hat ihn, wenn der Text seinen Kunstanspruch denn zu Recht erhebt, nicht verstanden.

Peter Weiss, Dichter und Maler, bringt in seiner Ästhetik des Widerstands Werke verschiedener großer Maler und Künstler im Stein, Gaudí, Breughel, Picasso, van Gogh, wortwörtlich zur Sprache, zum Sprechen. Auch Sebald spricht nicht über die Bildwerke, sondern läßt Gemälde von Grünewald, Pisanello, Rembrandt Giotto, Valckenborch Geschichten erzählen, nicht unbedingt das, was der Maler uns sagen oder vorführen will, wenn er denn solche Absichten hatte, sondern etwas, das das Bild ihm und uns ins Ohr flüstert, ob der Maler, ganz zu schweigen von uns, nun zuhört oder nicht, eine Kleinigkeit vielleicht nur wie die kaum auszumachende stürzende Dame im kanariengelben Kleid bei Valckenborch, wie der von Proust entdeckte Mauerfleck auf dem Bild Vermeers - aber gibt es denn Kleinigkeiten in der Kunst.

Bei Dieter Rübsaamen gehen Bild und Sprache durchweg die engste Verbindung ein. Die Betitelung der Bilder ist oft überbordend: Ein Satz nur ... Verdeckter Tanz hinter hehren Worten. Offenbart der Künstler hier souverän den Bildgehalt, oder ist das Bild verbal übergeflossen, ein Wasserschaden sozusagen, den es zu beheben gilt. Vielleicht auch erwartet der Maler Frost und lockt uns auf Glatteis. Die Bildfläche selbst ist beschriftet: Der Satz sagt nur insoweit etwas aus, als er ein Bild ist. Wir können diesen Satz bedenken, so wie Wittgenstein selbst seine Sätze immer wieder bedacht und auch verworfen hat, wir können aber auch darauf verzichten. Der Satz ist mit allen Anzeichen der Sachbeschädigung eingeritzt in eine dunkle Fläche. Beim Wort Bild schreckt der Maler, zu Recht oder zu Unrecht, auf, und die Beschädigung, die Schramme, wird zu einer blutroten Wunde, die sich nicht wieder schließen will.

Wie sähe das Bild aus, wäre es nicht beschädigt und verletzt worden von den Worten, vielleicht eine monochrome graue Fläche. So wie das Bild ist, sähen wir dann verdeckt hinter den Worten nicht, wie verheißen, einen Tanz, sondern eine Verzerrung im Schmerz. Oder wir sehen beides, denn wenn der Tanz Ausdruck der Lust ist, so kann, wie wir wissen, der Schmerz ohne weiteres Lust werden und der Tanz seinerseits Totentanz. Ein Bildwerk, das die Worte in sich aufgenommen hat, tut sich mit der Erzählung seiner Geschichten vielleicht besonders schwer, fordert aber um so hartnäckiger auf zur Entzifferung.