Montag, 25. Juli 2011

Zweifel an der Hölle

Nicht sei schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen, heißt es, und tatsächlich sehnten sich Adam und Eva schon nach kurzer heraus aus dem Paradies. Denkt man an Dante, fallen sogleich die verschiedensten Höllenszenen ein aber kaum etwas aus dem Bereich der ewigen Seligkeit. Dem unbekannten Meister unseres Höllenbildes aber mag durch den Kopf gegangen sein, daß es in der unteren Region unserer Welt vielleicht gar nicht so sehr anders aussieht, daß eine Reihe von schlimmen Tagen kaum schwerer oder kaum weniger leicht zu ertragen ist als die endlose Reihe der guten.
Dem Sünder in der Mitte des Schmor- und Feuertopfes, mit einem Mönch gemäßen Kopfbedeckung, ist jedenfalls deutlich anzusehen, daß er jede Lust an der immerwährenden Tortur verloren hat und entschlossen ist, nicht mehr mitzumachen, auszusteigen, notfalls ohne den Topf zu verlassen.
Die Dame rechts unten fragt uns, was der Aufwand soll, wenn ihr strahlender Leib dabei nicht den geringsten Schaden nimmt,
und ihre in der linken oberen Ecke aufgehängten Schwestern, haben ihre Qual längst in eine körperliche Übung umgewandelt, wie man sie tagtäglich in endlos vielen sogenannten Sportstudios antreffen kann. Aber auch bei den Teufeln und Teufelinnen, die in drastischer Darstellung die uns alle erwartende Pein abschildern sollen, scheinen erste Zweifel am Sinn ihres Tuns aufzukommen. Sie fragen sich, ob sie, die ohne Pause für ein gleichmäßig hohes Niveau der Qualen verantwortlich sind, am Ende nicht das schlechteste Los gezogen haben.

Mittwoch, 20. Juli 2011

En el rincón de una iglesia

Mis convicciones son las mismas que las de la anciana que reza en el rincón de una iglesia.
Meine Überzeugungen unterscheiden sich nicht von denen der alten Frau, die im dunklen Winkel einer Kirche sitzt und betet.

Wir sind in den Innenraum einer großen lateinamerikanischen Barockkirche versetzt. Das Kirchenschiff wölbt sich hoch, wenn der Blick nach oben geht. Ein Gottesdienst wird zu dieser Zeit nicht gefeiert, eine Messe wird nicht gelesen, Worte sind nicht zu hören, wohl auch kein Gesang, jedenfalls nimmt die alte Frau dergleichen nicht wahr, es ist still um sie. Die Frau sitzt allein in ihrer Ecke, falls noch weitere Menschen in der Kirche sind, sieht sie sie nicht, die Entfernungen in der Kirche sind groß. Es ist dunkel, einige Kerzen scheinen, das Tageslicht dringt nur schwach durch die Fenster. Die Wahrheit des Glaubens ist im Gemäuer, in den Säulen, in den Bildwerken. Die Bildwerke sind nicht von Fra Angelico oder Grünewald, die Frau, wenn sie aufschaut, stört sich daran nicht, die Bilder sind ihr nicht weniger schön und eindringlich, die unbekannten Maler haben sich nicht weniger gemüht. Die Frau ist alt, nicht so alt wie der Glaube, aber alt genug, um die Kraft des Überkommenen zu spüren. Es mag eine Frau aus dem Volk sein oder aus dem gehobenen Bürgertum, gebildet oder ohne Schulabschluß, das ist unerheblich. Wichtig ist dem Verfasser der Scholien zu einem inbegriffenen Text ihre Weiblichkeit. Es geht ihm, dessen männlicher Blick immer wieder abschweift, nicht um die Gleichheit der Geschlechter, ihre Auswechselbarkeit, bewahre. Es geht ihm um das Denken hinter der Beschlossenheit des weiblichen Auges, wie Pisanello sie angedeutet hat bei der Principessa durch die geringfügigste Senkung der unteren Lidgrenze. Die Überzeugungen der alten Frau sind tief aber ohne scharfe Umrisse. Ihr Beten, das sind vielleicht gemurmelte Worte, die sie selbst kaum versteht, vielleicht ist es aber auch ein wortloser Zustand, das Große Gebet.

Donnerstag, 7. Juli 2011

In der großen Stadt

Um die Freunde zu besuchen, waren wir leichtfertig mit dem Auto angereist, obwohl die große Stadt jenseits des Ozeans lag. Schon während der langen Fahrt waren uns immer wieder die zu erwartenden Parkschwierigkeiten durch den Sinn gegangen, nun erwiesen sie sich als schier unüberwindlich. Alle Stellplätze waren besetzt, reserviert oder so irrsinnig im Preis, daß man an sie nicht einmal denken konnte. Die Häuserblocks schrumpften zunächst kaum wahrnehmbar, dann zusehends, viele Häuser verschwanden spurlos, die Parkflächen wuchsen im gleichen Maß und erreichten schließlich ungeheuere Dimensionen, ohne daß sich aber an der Situation irgend etwas geändert hätte. Schließlich standen nur noch vereinzelte Bauten, vor allem Hotels, inmitten riesiger so gut wie leerer Parkflächen da, aus den wenigen abgestellten Fahrzeugen trugen Glückliche Koffer und andere Gepäckstücke in die Herberge. Über den Rand der Parkfläche blickte man hinunter in ein tiefes bewaldetes Tal, im Talgrund eine Aue, ein kleiner Fluß in der Mitte. Eine hinabführende Autostraße war nicht zu sehen, und wo war die Garantie, daß wir dort unten unseren Wagen hätten abstellen können. Ja, wenn man ein Mohawk sein und durch die Wälder streifen könnte.