Mittwoch, 22. Februar 2012

Alma Ata

 
 
(kasachisch Almaty: Vater der Äpfel) Hauptstadt des Kasachischen SSR. Gelegen am Fuße des Nordhangs des Zailijskij-Alatau, in einer Höhe von 700 bis 900 Metern auf der Ablagerungsfläche kleiner Bergflüsse, des Großen und Kleinen Almatink (Zuflußgebiet des Ili), 9 km südlich der Turksiba-Strecke, an die A.-A. angebunden ist. In der Vergangenheit ein abgelegenes Provinzstädtchen, ist A.-A. infolge des sozialistischen Aufbaus zu einem der wichtigsten ökonomischen und kulturellen Zentren des sowjetischen Asiens geworden.
Eine herrliche Stadt! Schaut man hinaus über das Dach eines der durchweg im klassizistischen Stil errichteten Bauten nach Süden, so sieht man, greibar nahe, einen Ausläufer des Zailijskij-Alatau, der über das Tarimbecken hinweg dem entfernten Himalaja zuwinkt, schaut man zur anderen Seite nach Norden zum Park hinaus, so ahnt man schon die endlose Weite der Steppe, die nicht einmal an der Grenze zu Rußland haltmacht. Von Europa aus ist schwer zu verstehen, warum dieser prachtvolle Ort seinen Hauptstadtstatus inzwischen hergeben mußte. Die Menschen erscheinen in der großzügigen Stadtanlage mit ihren weiten Alleen und Plätzen in realistischer Weise klein und unbedeutend, man weiß nicht, wo ihre eiligen Schritte sie hintragen, und kann nur hoffen, daß alle ihr Ziel erreicht haben. Auf dem Platz vor dem Opernhaus rechts geht oder steht eine Mutter mit ihrem Kind. Man schaut näher fragt sich, ob da noch ein Dritter ist, jemand, der sie umfängt und den sie im Arm hält, ihr Liebster, den sie unvermutet getroffen hat auf dem Platz? Das wäre ungewöhnlich in diesem, wenn auch in zurückhaltender Weise moslemisch geprägten Land. Wahrscheinlicher ist denn auch, daß sie ein zweites, kleineres Kind auf dem Arm trägt. Auch weitere Vergrößerungen führen nicht zu einer eindeutigen Lösung des Rätsels.


 

Leninabad

 
 
 
(bis 1938 Chodschent) eine Stadt, Zentrum des Leninabader Bezirks der Tadschikischen SSR. Gelegen am linken Ufer des Flusses Syr-Darji, dort wo er aus dem Ferganatal tritt. Endpunkt des Eisenbahnnetzes der Linie Taschkent - Kokand. L. ist eine wohlgeordnete Stadt mit Grünanlagen entlang der Straßen, umgeben von Gärten und Weinbergen. Ein Teil der Straßen ist asphaltiert. L. wird nach einem neuen Generalplan ungestaltet. Es kursieren Autobusse und Taxis.
Wie immer man sich die Seidenherstellung gedacht hat, so still und reglos haben es wohl die wenigsten erwartet. Die Maschinen sind lautlos, geben allenfalls ein leises Murmeln von sich ähnlich dem gleichmäßigen, ungemein beruhigenden Vertilgungsgeräusch ungezählter, das frische Maulbeerlaub zernagenden Seidenwürmer. In den in großen Abständen über die weite Halle verteilten, voller Würde dastehenden Frauen darf man keineswegs Arbeiterinnen sehen, es sind Vestalinnen des Seidenkults, priesterliche Begleiterinnen des Werdens der Seide. Am Abend, wenn der Kult ruht, tritt man heraus aus der wohlgeordneten Stadt hinunter zum Fluß und spürt die Weite und Tiefe der Welt. Kein Wunder, wenn in dieser Stadt nur zögernd Busse und Mietdroschken eingeführt werden, und wozu eigentlich sie dienen sollen, weiß man auch jetzt noch nicht so genau.




 

Dienstag, 21. Februar 2012

Warschawa

Städtebilder

 
Die Hauptstadt und einwohnerreichste Stadt der Volksrepublik Polen, ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt, das wichtigste politische und kulturelle Zentrum des Landes und eines der größten Industriezentren. W. ist das Verwaltungszentrum der Wojewodschaft Warschau und eine eigenständige Verwaltungseinheit. W. hat eine Fläche von 141 km², einschließlich der Vororte eine Fläche von 400². W. liegt im Zentrum des Masurischen Tieflands, an der Weichsel treffen viele wichtige Landverbindungen zusammen, die Ost- mit Mitteleuropa verbinden. Der größere Teil von W. liegt auf dem erhöhten linken Ufer der Weichsel, der kleinere Teil - Praga - am niedrigen rechten Flußufer.
Das erste Bild ist wohl gedacht als Illustrierung des bedeutenden Verkehrsknotenpunkts Warschau, erzielt aber eine entsprechend tiefe Wirkung nicht, eher schon sieht es so aus, als habe es Tati in die polnische Hauptstadt verschlagen. Wahrscheinlich war es eine Verkettung unglücklicher Umstände, die den Photographen einen so verkehrsarmen Augenblick erwischen ließen, einen Anlaß, auf einen günstigeren Moment zu warten, hat er nicht gesehen. Fußgänger, Männer oder Frauen, sind auf diesem Photo nicht vertreten und auch auf anderen kaum. Naturgemäß vermissen wir besonders die Frauen, sind doch die Polinnen, wie jeder weiß, die schönsten überhaupt und unter den Polinnen wiederum die Warszawianki. Anscheinend sollen sie, ähnlich wie die Muselmaninnen, vor unseren Blicken geschützt bleiben. Vor dem Gebäude der Warschauer wissenschaftlichen Gesellschaft sind sie ganz vorn außen rechts schemenhaft zu erkennen, von ihrer Schönheit ergibt sich aber nur ein nebelhafter Eindruck, eine Ahnung von ihrer stolzen Haltung und Unnahbarkeit haben wir immerhin. Die Denkmalsfigur vor dem Gebäude der Towarzystwo Naukowe Warszawskie ist nicht zu identifizieren, darum sei verraten, daß es sich um Kopernikus handelt.
 

Bucharest



(rum: Bukureschti) ist die Hauptstadt der Rumänischen Volksrepublik. Es ist im südlichen Teil Rumäniens gelegen, 60 km von der Donau entfernt. Im Zentrum von B. fließt ein kleiner, nicht schiffbarer Fluß, die Dymbowitza (Nebenfluß des Ardshesch).
 
Im sowjetischen Einflußbereich machen selbst die Metropolen und Hauptstädte einen angenehm ruhigen und aufgeräumten Eindruck. Trotz der Verkehrsruhe scheint es zwischen den beiden Autos vorn im Bild fast zu einem Zusammenstoß zu kommen, das von links einbiegende Fahrzeug schneidet die Kurve, da es einem Fußgängerpaar ausweichen muß. Es könnte aber alles auch weitaus harmloser sein, das rechte Fahrzeug ist geparkt, und auch das linke hat sich gerade erst von seinem Standplatz gelöst; warum auch sollte die Mutter mit dem Kind - dem einzigen Kind überhaupt – so todesverachtend die Straße überqueren. Betrachtet man zunächst den Vordergrund, so scheinen die Frauen in der Mehrzahl, aber aufs Ganze gesehen, herrscht wohl doch ein ausgewogenes Verhältnis. Die Rumänien sind keineswegs weniger schön als die Russinnen, im Gegenteil, und es schmerzt, daß sie nur so undeutlich zu erkennen sind. Auch der Herr auf dem Podest ist nicht zu identifizieren, es dürfte sich aber nicht um einen Helden der sozialistischen Gegenwart handeln. Am Gebäude des Volksrates spielt sich kein Publikumsverkehr ab, umso fleißiger wird hinter den Fenstern gearbeitet.
 


 

Jenakijewo

Städtebilder

Eine nachgeordnete Bezirksstadt, Zentrum des Rayons Jenakijewo im Bezirk Stalino der Ukrainischen SSR. Gelegen im zentralen Teil des Donbass, am Fluß Bulawin, Zuflußgebiet des Mius). Eisenbahnstation 50 Km nordöstlich, bei Stalino, das mit dem Autobus zu erreichen ist. Die Bevölkerungszahl betrug nach dem Register von 1926: 24 300, nach dem Register von 1939: 88 200.
Die Stadt hat offenbar nichts, das verlocken könnte, dort zu wohnen, aber man wäre gerne da in diesem Augenblick, bevor die fünf Personen das Bild am linken Rand verlassen haben. Es ist gar nicht einmal gesagt, daß es für alle der linke Bildrand ist, die drei Frauen könnten auch nach unten verschwinden. Auf keinen Fall ist es eine Gruppe im Sinne einer alle fünf umfassenden Zusammengehörigkeit. Der Mann vorn ist wohl ein Soldat, der zu seiner Truppe strebt, vielleicht aber ist er auch auf Heimaturlaub und unterwegs mit anderem Ziel. Der Mann hinten schaut zu uns hinüber und ist deshalb, bei seinem eiligen Schritt, in Gefahr, mit dem Frauenpaar vor ihm zu kollidieren. Der Richtungswinkel läßt vermuten, daß auch die dritte Frau, ein wenig weiter vorn, zu den beiden weiter hinten gehört, die ebenfalls zu uns herschauen. Sonne tutte belle, krasivyje, wunderschön allesamt. Nun sind sie verschwunden, das Standbild auf dem Platz hat wenig, das uns fesseln könnte, wir sollten wieder abreisen, falls nicht noch Unvorhergesehenes geschieht. 


Drogobytsch

Städtebilder

 Stadt und Zentrum des Drogobytscher Gebiets der Ukrainischen SSR. Gelegen am Fluß Tysjmeneniza (Zuflußgebiet des Dnjestrs) im Vorgebirge der Karpaten. Eisenbahnknoten (Strecken nach Borislaw, Sambor, Stryj, Truskawetz). Zentrum der Erdölindustrie der Ukraine. Bekannt seit der Zeit der Kiewer Rus (11.-13. Jhdt.). Ab der Mitte des 19. Jhdt. wurde in der Gegend von D. Ozokerit abgebaut, später Erdöl und brennbares Gas. Zwischen 1900 und 1910 entstanden in der Stadt erdölverarbeitende Betriebe. Nach der Vereinigung der westukrainischen Gebiete mit der Ukrainischen SSR (1939) beschleunigte sich die Entwicklung von D. erheblich. Viele neue Unternehmen wurden erbaut, alte renoviert.
 
Die Stadt hat, wie wir lernen, einen Fluß aber, traut man der Abbildung, keinen Himmel, weder einen bewölkten noch einen wolkenlosen. Es könnte ein Festtag sein, der die ziemliche Leere im Straßenbild erklärt, wahrscheinlicher aber ist, daß die Werktätigen sich, unsichtbar für uns, an den Werkbänken aufhalten. Bei näherem Hinsehen sind zudem an der Häuserzeile links so wenige Passanten nun wieder auch nicht zu vorhanden. Nur mit zwei Söhnen der Stadt sind wir näher vertraut, mit Bruno Schulz und mit Frohmann, eine Traumgestalt aus Sebalds Erzählung Max Aurach, deren Vornamen wir nicht kennen. Es wäre schon ein haarsträubender Zufall wenn es sich bei den beiden Männern vorn links in der Biegung der Straße um Schulz und Frohmann handeln würde. Es läßt sich nicht erkennen, wen das Figurenduo vor dem Gebäude des Obkom (Gebietsverwaltung) der KP darstellt. Große Ähnlichkeiten mit Marx und Engels, Marx und Lenin oder Lenin und Stalin zeigen sich nicht, die Auflösung ist aber zu schwach, als daß eine dieser Möglichkeiten endgültig ausgeschlossen werden könnte.



Jelgava



Jelgava (vormals Mitau) ist eine nachgeordnete Bezirksstadt in der Lettischen SSR, Zentrum des Jelgaver Rayons im Bezirk Riga. Es ist ein wichtiger Eisenbahnknoten mit Strecken nach Riga, Ventspils, Krustpils und Schaulen. Hafen am Fluß Lielupe am Zusammenfluß mit der Driksna.

Das Photo gibt Jelgava ohne Zweifel als die Geburtsstadt Chiricos zu erkennen, dessen Malerei sich vor dem Hintergrund seiner frühkindlichen Eindrücke als durch und durch realistisch erweist. Die einzige Limousine der Stadt ist erkennbar schon vor längerer Zeit abgestellt und aufgegeben worden, die Straße ganz dem Lastverkehr freigehalten. Auf den ersten Blick zeigt sich nur einer der vorsintflutlichen Camions, das insistierende Auge zählt dann aber drei. Gleichzeitig aber kommen Bedenken, ob diese Fahrzeuge nicht ebenfalls abgestellt und führerlos sind. Die den Fahrdamm säumenden Häuser weisen ihrerseits keinerlei Anzeichen des Bewohntseins auf. Die beiden Frauen im Vordergrund sind, man muß des annehmen, in einer ewigen Umkreisung des Häuserblocks gefangen. Rätsel werfen die beiden, am Ende des grabenartig tiefergelegten gelegten Trottoirs soeben noch erkennbaren schwarzen Gestalten auf. Folgen sie, sofern sie überhaupt zurecht als Menschen identifiziert wurden, auf der unteren und ein wenig engeren Kreisbahn den zwei Frauen, kann man in ihnen vielleicht gar die Verantwortlichen für die unhaltbare Situation sehen?
 

Sonntag, 19. Februar 2012

Prust, Marselj (1871-1922)

Ein französischer Schriftsteller des Dekadentismus. Am Beginn seiner literarischen Tätigkeit steht die Sammlung kleiner Erzählungen Utechi i dni (1896). Von 1900-13 schrieb er eine mondäne Chronik in dem reaktionären Blatt Figaro. Bei Prusts Hauptwerk, dem Roman W poiskach utratschennogo wremeni (8 Bände 1911-22, herausgegeben 1914-27), handelt es sich um eigentümliche Memoiren, die alle wichtigen gesellschaftlichen Vorgänge unbeachtet lassen und das Augenmerk ausschließlich auf die subjektiven Empfindungen der Personen richten – Vertreter der französischen bourgeoisen und aristokratischen Gesellschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Siegel des Passivität und Melancholie liegt über diesem Werk, das die Zersetzung der bourgeoisen Literatur bekundet. Eine tiefschürfende Beurteilung des Romans hat M. Gorjkij abgegeben; er charakterisiert ihn als den sehr langen und sehr langweiligen Traum eines Menschen ohne Fleisch und Blut, eines Menschen, der außerhalb der Wirklichkeit lebt (Sobr. sotsch., t 26, 1953, str. 245).