Dienstag, 8. Juni 2010

Thinking Hard and Having Fun


Remember?
No.
Me neither.


Kants Aufforderung, von der eigenen Vernunft Gebrauch zu machen, ist prekär. Die meisten von uns, das muß man eingestehen, können nicht wirklich denken. Die Vorstellung, ein jeder würde mit seinem ureigenen Hämmerchen und zugehörigem Meißel unmittelbar auf die Welt einschlagen, um sich so - der eine vielleicht etwas gröber und die andere vielleicht etwas feiner - sein unverwechselbares Bild von ihr zurechtzuklopfen, ist falsch. Was unsere Köpfe bevölkert, sind vagabundierende Bruchstücke aus den Gedankensystemen der wenigen wirklich Denkenden, nicht selten über zwölf Ecken vermittelt und zur Unkenntlichkeit verstümmelt, Gerümpel, Treibgut angeschwemmt nach den Prinzipien des Zufalls und der eigenen Lebenslage, das ist dann unser Eigenes.


Wer denkend immerhin bis zu diesem Punkt vordringt, zählt schon zur Avantgarde, und er mag auf die Idee verfallen, sich an einen besseren Denker als seinen Leitdenker anzuhängen. Wählt man Luhmann, so hat das gewisse Vorteile. Sein Theoriegebäude ist hinreichend weit zurückgezogen hinterm Damm errichtet, um nicht vom Tagesgeschehen ständig in Gefahr gebracht zu werden. Die ihn nicht verstehen, und das ist die überwältigende Mehrheit, und obendrein gern aus dem Wege haben möchten, behaupten allerdings ständig das Gegenteil. Er gilt als Garant des Funktionierens und seine Theorie als gescheitert, wenn etwas nicht funktioniert. So soll etwa auch die jüngste Finanzkrise seine Arbeiten ein weiteres Mal und endgültig in den Archivkeller verbannt haben, es habe sich gezeigt, daß die uns nährenden Systeme nicht zuverlässig arbeiten. Dabei hatte Luhmann noch zu Lebzeiten – anschließend hatte er dazu dann leider keine Gelegenheit mehr – wiederholt auf die überaus reale Gefahr hingewiesen, daß das Wirtschaftssystem, das primär nicht ein System der Güterproduktion, sondern ein System ununterbrochener Zahlungen ist, schlicht zum Stillstand kommen kann und zwar aufgrund der Unmasse global flottierender Gelder.

Die meisten von uns sind keine Denker und ebensowenig Dichter, ein eigenständiger künstlerischer Blick auf die Welt ist uns versagt. Zur Vorhut gehört schon, wer die Dichter zuverlässig von den Denkern unterscheiden kann und nicht glaubt, die Dichter würden als Lyriker vorgefaßte Gedanken nur noch am Zeilenende mit einem Reim versehen oder, als Epiker, erdachten Figuren in den Mund legen. Wer nach Erkenntnissen zu Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands guggelt, stößt sogleich auf die Seite eines Vereins zur Förderung des marxistischen Pressewesens e.V. aus dem Jahre 1982, die offenbar immer noch als netzwürdig angesehen wird. Dem Dichter wird neben vielem anderen vorgeworfen, daß er sich für Klangfarben interessiert. Daß Musiker nicht ganz ohne Klang und Maler nicht ganz ohne Farbe auskommen, wird man notgedrungen durchgehen lassen, aber ein Wortkünstler, der im gleichen Medium arbeitet, in dem auch die Begriffe entstehen - Begriffe überdies, die, soweit sie als wesentlich gelten können, von Marx bereits sämtlich geklärt wurden – wieso kann einem Wortkünstler noch an Klangfarben gelegen sein?


Wie wird der den Unterschied zwischen Denker und Dichter erläutern, der sich an Sebald als Leitdichter anhängt? Seine Antwort wird darin bestehen, daß er unaufhörlich Kleine Sebaldstücke verfaßt. Er schreibt und schreibt, um für Augenblicke zu glauben, er könne die Welt mit den Augen eines Dichters sehen und wisse, was ein Dichter ist.


Keine Kommentare: