Samstag, 17. März 2012

Wiljnjus

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(Wiljno), eine Stadt, Hauptstadt der Litauischen SSR, ihr wichtigstes wirtschaftliches und kulturelles Zentrum. Ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. W. liegt in einer malerischen Umgebung am Zusammenfluß der Flüsse Neris (Wilija) und Wiljna (Wilejka). Der Hauptteil der Stadt liegt auf den Flußterrassen, die Umgebung auf einem Plateau. Im Süden, Südosten und Osten sind die Flußtäler von einer Hügelkette umgeben (dem Panerjaj, dem Antakaljnis und anderen). Im Jahre 1800 hatte W. 31 000 Einwohner, 1900: 162 633 und 1935: 207 750.
 
Die Litauer und zumal die Bewohner der Hauptstadt Wiljnjus kann man sich nicht anders vorstellen, als daß sie ihre Tage wandelnd im Schatten ihrer ehrwürdigen Sprache verbringen, die der Sprache unserer Ururahnen so nahe steht wie das Sanskrit und im Formenreichtum auch dem Altgriechischen nicht unterlegen ist. Die Insassen litauischer Lieferwagen, die am Vorabend der Sperrmüllabfuhr durch unsere Straßen und Gassen fahren, werden den hohen Erwartungen nicht uneingeschränkt gerecht, es bedarf zur vollen Blüte wohl des heimischen Ambiente. Liebhaber der Sprache sind immer auch Liebhaber der Musik, und so sind wir mehr als einverstanden, wenn eins der Bilder uns das Gebäude der Lietuvos nacionaliné filharmonija zeigt. Kein Zweifel besteht, daß die Passanten mit den Gedanken bei ihrer Sprache und bei nichts anderem sind, auch wenn unsere geheime Hoffnung, sie würden gewandet in Chlamys und Peplos einhergehen, sich nicht erfüllt. Die eilige Dame in der Mitte, zwischen den beiden Bäumen, ist erkennbar sehr schön, und wir sehen sie unterwegs zu einer Sitzung bei der Lietuvos mokslų akademija, Abteilung für Sprachpflege. 
 

Archangelsk

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Eine Stadt, Bezirkszentrum in der RSFSR; ein See- und Flußhafen, einer der größten in der UdSSR. Gelegen an der Nördlichen Dwina an ihrer Einmündung in die Dwinabucht am Weißen Meer und an der Eisenbahnlinie Moskau – Wologda – Archangelsk. Das Hafenbecken ist tief und kann große Seeschiffe aufnehmen; befahrbar für 6 – 7 Monate. Bevölkerung: 20 000 im Jahre 1897, 48 000 i.J. 1917, 76 800 i.J. 1926 und 281 100 i.J. 1939. Die Stadt hieß im 16. Jhdt. Nowo-Cholmogory und wurde 1613 in A. umbenannt.
Schon und vor allem was die Lichtverhältnisse anbelangt, haben Seestädte einen uneinholbare Vorsprung gegenüber Städten im Inneren des Landes. Wer möchte nicht auch auf der Nabereschnaja promenieren, zumal alles darauf hinweist, daß die Berichte über abweisende Kälte und Dunkelheit in der Stadt am Weißen Meer bei weitem übertrieben sind. Im Stadtinneren, sozusagen hinter dem Deich, verlieren sich die Trümpfe einer Stadt am Meer, aber wer wollte bestreiten, daß ein Rätehaus für eine Stadt wie Archangelsk unabdingbar ist. Auffällig und nicht leicht zu erklären ist, daß vor dem Sowjethaus nur Frauen und Kinder dahineilen, während die Uferpromenade den Männern vorbehalten scheint. Tatsächlich aber verdecken die beiden Matrosen nur das Geschehen, und wenn wir genau hinschauen, glauben wir zwischen ihnen im Hintergrund ein Paar zu erkennen, vielleicht sogar ein Liebespaar.
 
Wir lesen vom rasanten Aufstieg der Stadt und sind erstaunt und beglückt, wie ruhig und ohne jede Zerstörung sich der Fortschritt hier entwickelt. Fast scheint alles noch friedlicher zu sein als vormals. Der Junge auf dem Fahrrad fährt weder auf der rechten noch auf der linken Straßenseite, aber eher ein wenig links, mit Gegenverkehr rechnet er so schnell nicht, und ein etwa von hinten auf ihn auflaufendes Fahrzeug würde sich in jedem Fall gedulden. Fahrräder sind bislang nicht in großer Zahl aufgefallen bei unseren Städtebetrachtungen. 
 







Donnerstag, 15. März 2012

Tbilissi

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Hauptstadt der Grusinischen SSR, eins der wichtigsten Industrie-, Kultur- und Wissenschaftszentren der Sowjetunion, ein Eisenbahnknoten, Endpunkt der grusinischen Militärstrecke. Bevölkerungsentwicklung: 294 000 im Jahre 1926, 519 200 i.J. 1939 und 653 000 i.J. 1956. Die Stadt ist in 8 Rayons unterteilt. T. ist in einer Länge von 20 km am Ufer des Flusses Kury (grus. Mtkwari) gelegen. Der Hauptteil des Stadt nimmt das Tbilisser Becken ein, das an drei Seiten von Bergen umgeben ist. Der besonders schöne Teil am rechten Ufer ist an den Hängen des Trailetskigebirges gelegen. Das linke Ufer (der westliche Teil) nimmt den nordwestlichen Teil Iorsker Hochebene ein. T. ist eine der ältesten Städte der SU. Seinen Namen verdankt es dort sprudelnden warmen schwefelhaltigen Quellen (grus.: tbili = warm).
 
Es ist wahrhaftig eine wunderschöne und obendrein eine friedliche Stadt. Das Verhältnis von Individual- und Lastverkehr auf der einen und den Belangen der Fußgänger auf der anderen Seite kann man nur als ausgewogen bezeichnen und nur schwer läßt sich entscheiden, ob die Pracht der Alleebäume die der Bauten übertrifft oder umgekehrt. Ob es die vielleicht schon übergroße Hitze der von der Sonne beschienenen Straßenseite rechts ist, die drei Bewohner der Stadt den Schatten suchen läßt, während ein Wärmebedürftiger zu Sonne strebt? Die sanften Berghänge im Hintergrund lassen die gewaltigen Bergmassive des gar nicht weiten Kaukasusmassivs nur gerade erst ahnen.
 Das friedliche Leben ist den Bewohnern nicht in den Schoße gefallen, es mußte erkämpft werden. Der junge Mann rechts im Bild, der später dann weit über die Grenzen seines heimatlichen Georgiens für Aufsehen sorgen sollte, hat sich dabei besonders hervorgetan. Den Zeilen des ihm von den Kaukasusvölkern verfaßten Dankgedichtes - in russischer Sprache, der die Sowjetvölker einenden lingua franca -, in dem die Kraniche gen Norden fliegen, um einen Gruß zu überbringen, können wir nur aus vollem Herzen beipflichten.

Dienstag, 13. März 2012

Megri

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(Auch Meghri, Mehri, Mughru, Myghry, Mergi, Megry und Mogri), eine Ortschaft, Zentrum der Megriner Rayons der Armenischen SSR. Gelegen im Vorgebirge am Osthang der Sangesurski-Bergkette, am Fluß Megriget (ein linker Zufluß des Araksa), in 5 km Entfernung von der Eisenbahnstation M. (an der Strecke Baku – Eriwan). Obstkonserven-, Wein- und Granatapfelfabriken. Es gibt eine Mittelschule, 3 Bibliotheken, ein Kulturhaus und ein Kino.
Dem Sozialismus, auf festen wissenschaftlichen Füßen, wie er dasteht, ist das Märchenhafte fremd, gefeit aber ist er vor ihm nicht. In der Konservenfabrik zu Megri ist etwas sehr Merkwürdiges geschehen, man weiß nicht ob zum Guten oder zum Schlechten, in jedem Fall aber etwas, das nur als märchenhaft beschrieben werden kann. Die vier Arbeiterinnen des Unternehmens sind in die gleiche Starre verfallen wie Spjaschtschaja Krasawiza, die schlafende Schönheit – so nennen die Russen Dornröschen, und die Armenier sind des Russischen mächtig – samt ihrem Hofstaat. Das völlig Überraschende des Geschehens ist deutlich erkennbar, zwei der Frauen haben gerade ihre Hand auf eine Dose gelegt und können sie nicht mehr lösen, die dritte hat den Arm erhoben und kann ihn nicht mehr senken, nur die vierte hat einen kurzen Moment vorher schon etwas geahnt und es sich ein wenig behaglicher eingerichtet. Spjaschtschaja Krasawiza scheint nicht dabei zu sein, denn nach allem was wir wissen, hat sie die Zeit der Verzauberung angenehm ausgestreckt auf einer Ottomane überstanden. Andererseits, wenn etwas sich wiederholt, muß es sich nicht unbedingt Stück für Stück auf die gleiche Weise wiederholen. Wie es im einzelnen weitergegangen ist in Megri, ist nicht bekannt, wir kennen nur das in realistischer armenischer Malweise überlieferte Freudenfest, das von der Parteiführung anläßlich des Wiedererwachens der Arbeiterinnen ausgerichtet wurde. Von einem Prinzen ist nichts zu sehen, aber es fällt auf, daß der Festzug nur von drei der Arbeiterinnen angeführt wird, die vierte fehlt, es könnte sein, daß Spjaschtschaja Krasawiza schon auf der Hochzeitsreise ist mit ihrem Vorzeigearbeiter.

Parakar

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Parakar (formerly, Shirabad) is a town in the Armavir Province of Armenia. The 2001 census for the whole community, which includes the nearby town of Tairov, was 7,211. The town has a gypsum mine and its Saint Harutyun church dates from 1855.
Der Bildaufbau gleicht dem mittelalterlicher Darstellungen der Geburt unseres Herrn, wo links oder rechts vom die Bildfläche beherrschenden Stall einige Dächer der Stadt Bethlehem zu sehen sind. Hier glauben wir links oben ein wenig von der Ortschaft Parakar zu erkennen. Weitere sie betreffende Nachrichten haben wir nicht, in der Enzyklopädie gibt es keinen Eintrag zu der Ortschaft Parakar. Das Bauwerk, der eigentliche Gegenstand des Bildes, hat einen sakralen Charakter. Zwar können wir die besonders schöne armenische Schrift nicht lesen, werden aber unterrichtet, daß es sich um einen Denkmalsbrunnen für die Helden der Großen Vaterländischen Krieges handelt. Es stellt sich die Frage, ob wir der Frau bei einer alltäglichen oder aber bei einer kultischen Handlung zuschauen. Die Weiber am Brunnen, die symbolische Kraft des Brunnens ist groß, zumal in dürrem, wenig fruchtbaren Gelände. Dem modernen Lexikoneintrag können wir entnehmen, daß Parakar sich inzwischen, wie man sagt, gemacht hat und jetzt kein Dorf mehr ist, sondern eine Stadt, wenn auch eine kleine. Ob der Brunnen noch steht, bleibt uns verborgen. Vielleicht aber ist Parakar der Name verschiedener Ortschaften in Armenien, und unser Dorf mit dem Brunnen bleibt im Verborgenen. Fast wäre es uns lieber.

Mittwoch, 7. März 2012

Andischan


Zentrum des Andischaner Bezirks der Usbekischen SSR im Osten des Ferghanatals, am Fluß Andischan-Saj. Ein Eisenbahnknotenpunkt. 83.700 Einwohner. Zentrum eines großen Baumwollrayons. In A. gibt es viele Industrieunternehmen, die in der Sowjetzeit errichtet oder wiedererbaut wurden: große Baumwoll- und Fleischfabriken, den Instandsetzungsbetrieb Kommunar, eine Konservenfabrik, den Betrieb Awtotraktorodetalj. Unter der Sowjetherrschaft wurde auch eine Reihe von Kultur- und Bildungseinrichtungen eröffnet. A. wird erstmals im 9. Jahrhundert erwähnt, 1902 wurde es von einem Erdbeben zerstört.
 
 Wer vom Ferghanatal gehört hat, sehnt sich nach ihm. Schwer fällt zu glauben, was wir da von verschiedenen kleineren und größeren Industriebetrieben hören, offenbar doch sind die Bewohner der Stadt Andischan ganz allein mit sich und ihrem schönen, besonderen Leben beschäftigt. Frauen sieht man nicht auf der Straße, sie sind wohl in den Häusern oder auf den Baumwollfeldern. Die Männer in ihren dunklen Anzügen benutzen den Gehsteig zwischen den Häusern zur Linken und den Alleebäumen und Anpflanzungen zur Rechten. Ein hell Gekleideter aber geht in der Mitte der Straße, ohne daß er sich Sorgen machen müßte um irgendwelchen Fahrzeugverkehr. Er wird nicht anhalten, bevor er hinten aus dem Bild gelaufen ist. Vielleicht ist es jemand wie wir, der seiner Sehnsucht nachgegeben hat, unterwegs auf einem Abzweig der Seidenstraße, China schon vor Augen. Das Gepäck rollt mit der Eisenbahn und erwartet den Wanderer abends am Zielort dieses Tages.
 

Donnerstag, 1. März 2012

Amiens

Das Verwaltungszentrum des Departements Somme in Frankreich, Hauptort der historischen Provinz Picardie; Hafen an der Somme. 85000 Einwohner. Leinen-, Baumwoll-, Papier- und Juteindustrie. Kleinere Betriebe im Bereich Metallurgie, Metallverarbeitung, Maschinenbau und Chemie.
Glaubt man Balzac und seinem Helden Rastignac, so haben die Franzosen nur eins im Sinn, nach Paris zu gelangen, um dort das Glück in der Form sozialen Aufstiegs zu finden. Die Provinzstädte sind deswegen nicht entvölkert, aber es liegt ein schöner Schleier der Verlassenheit über ihnen, der beim Reisenden das gegenteilige Verlangen auslösen kann, auszusteigen und auf immer hier zu bleiben. Ist die Stadt dann noch um eine gotische Kathedrale gelagert, kann das Verlangen zu schmerzlicher Sehnsucht werden. Hat den Mann, der gerade aus seinem Auto gestiegen ist, diese Sehnsucht überwältigt? Er scheint sich von uns fort zu bewegen, dann aber müßte er einem rechtsgesteuerten Wagen entstiegen sein, ein Engländer also, Vertreter einer Nation, in der eine Gefühlstiefe dieser Art wenig verbreitet ist. Naturgemäß ist ebenso gut möglich, daß seine Reisegefährtin, die dem Verlangen, wenn sie es denn überhaupt verspürt, besser Paroli zu bieten versteht, am Steuer des dann nicht englischen Wagens zurückgeblieben ist. Von der Bauart her scheint es ein französisches Vehikel zu sein, aber das hat wenig zu bedeuten.