Donnerstag, 30. Juni 2016

Inhaltsübersicht

Varia alphabetisch

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Städtebilder

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Bibel und Literatur

New York nicht unähnlich

Der Leichtsinn des Künstlers

The Immanent Frame

Säkularisierung

Unter dem Farn

Fragen des Stils

El que hem menjat 

Prust, Marselj

In die Stadt

Nach dem Rennen

Zweifel an der Hölle

En el ricón de una iglesia

In der großen Stadt

Bild einer Ausstellung

Hohes Laufgitter

Freude

Jed Le Strange

Ein großer Dichter

Archimedes

Säulenheilige

Les jours et les plaisirs

Versandcouvert

Blick ins Wasser

Tauromachie

Europäische Neuordnung

Pyrenäenmütze


Creuza de mä

Tenente Drogo

Das Antlitz der Dichter

Catalunya

Sancho Pansa

Dear Heather

Artes

Portbou

Klangfarbe

Thinking Hard and Having Fun

Ká kaákakaá kaákaá

Zivilgesellschaft

La douce France

Die Wahrheit im Kaukasus

Mit den Händen

NYC

Im Roggen

Verstetigung

Hier die Prärie und dort die Steppe

Fuchs mit Stacheln

Salinger Le Strange

Leben in der Metapher

Zu Gast bei Joseph de Maistre

Die nächste Stadt

Weisheiten

Befreiungstheologie

Daneben

Philosophieren

Herta M.

Ein Sterben

Im Turm der Dichter

Jesli Boga nie ma

Plaisir

Kynokyriologie

Weiter, ihr Wellen, ihr wellen

Stör auf die Welt in ihrem Dunkel



Damals

Grand Prix

Gießereitechniken

Theaterkämpfe

Pupuseh

Treballo d'advocat

Migration

Ná beidh ár leithéidi arís ann

Kenkitsatatsiria

Die Ausgewanderte - Stadt

Die Ausgewanderte - Landschaft

Die Ausgewanderte

Una literatura de bondad

Phillies

Das letzte Kapitel

Papusza

Der Trichter

Hudannit

Kakophonie im Dreiklang

Abstieg ins Tal

Laboratorien

Gewohnheitsrecht

Homunculus

Im Schloßpark

The Missing Christ


Descartes

Der Schatten

Fontane

Terres des Hommes

Kafka

Lemberg sehen

Updike

Im Parador

Handschmeichler

Navegar pelo rio Amazonas

Proust

Great Balls of Fire

Kafka z'Bärn

An der Kennedybrücke

ABBA

Vezelay

Dornröschen

Heimwärts von Spitzbergen

Tschechow

Sarkozy

Mittwoch, 29. Juni 2016

Varia alphabetisch


ABBA
Abstieg ins Tal
Alma Ata
Amiens 
An der Kennedybrücke
Andischan
Archangelsk 
Archimedes
Artes

Batumi
Befreiungstheologie
Beslan
Biarritz
Bibel und Literatur 
Bild einer Ausstellung
Blick ins Wasser
Bucharest

Catalunya
Creuza de mä

Damals
Daneben
Das letzte Kapitel
Dear Heather
Der Leichtsinn des Künstlers
Der Schatten
Der Trichter
Descartes
Die Ausgewanderte
Die Ausgewanderte – Stadt
Die Ausgewanderte - Landschaft
Die nächste Stadt
Die Wahrheit im Kaukasus
Dornröschen
Drogobytsch

Ein großer Dichter
Ein Sterben
En el ricón de una iglesia
El que hem menjat


Fontane
Fragen des Stils
Freude
Fuchs mit Stacheln

Gewohnheitsrecht
Gießereitechniken
Grand Prix
Great Balls of Fire

Handschmeichler
Heimwärts von Spitzbergen
Herta M.
Hier die Prärie und dort die Steppe
Hohes Laufgitter
Homunculus
Hudannit

Im Parador
Im Roggen
Im Schloßpark
Im Turm der Dichter
In der großen Stadt
In die Stadt

Jed Le Strange
Jelgava
Jenakijewo 
Jesli Boga nie ma

Kafka
Kafka z’Bärn
Ká kaákakaá kaákaa
Kakophonie im Dreiklang
Kenkitsatasiria
Klangfarbe
Kynokyriologie

Laboratorien
La douce France
Leben in der Metapher
Lemberg sehen
Leninabad
Les jours et les plaisirs

Megri
Migration
Mit den Händen

Ná beidh ár leithéidi arís ann
Nach dem Rennen
Navegar pelo rio Amazonas
New York nicht unähnlich
NYC

Papusza
Parakar
Pensa 
Phillies
Philosophieren
Plaisir
Plowdiw
Portbou
Proust
Prust, Marselj
Pupuseh
Pyrenäenmütze

Rjasan

Säkularisierung
Salinger Le Strange
Sancho Pansa
Sarkozy
Säulenheilige
Sofija
Städtebilder
Stör auf die Welt

Tauromachie
Tbilissi
Tenente Drogo
Terre des Hommes
Theaterkämpfe
The Immanent Frame
The Missing Christ
Thinking hard and having fun
Treballo d’avocat
Tschechow

Una literatura de bondad
Unter dem Farn
Updike

Versandcouvert
Verstetigung
Vezelay

Warschawa
Weisheiten
Weiter ihr Wellen
Wiljnjus
Wologda 

Zu Gast bei Joseph de Maistre
Zweifel an der Hölle


Donnerstag, 2. Juni 2016

Bibel und Literatur


Mit der Hilfe von zwei Bibelstellen läßt sich zuverlässig feststellen, ob man es mit Literatur zu tun hat oder aber nicht. Da ist zunächst Markus 10,25: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß es sich bei einem Bestseller um Literatur handelt. Hier ist uns ein operativ sehr leicht zu handhabendes Kriterium gegeben, das allerdings nicht in jeder Hinsicht zuverlässig ist. Durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle kann ein Werk der Literatur zum Bestseller werden, der Werther ist ein frühes und in seinen Folgen, wie man weiß, tragisches Beispiel. Entscheidender ist denn auch Johannes 1,1: Im Anfang war das Wort. Literatur ist nichts anderes, als die Welt aus dem Wort neu hervorgehen zu lassen. In den allermeisten Büchern aber begegnen wir der gewohnten, mit Worten nur überkleisterten Welt, diese Bücher können wir beiseite lassen. Johannes 1,1 ist als Maßstab ohne Fehl, hat allerdings nicht die Handlichkeit von Markus 10,25.

Freitag, 13. November 2015

New York nicht unähnlich

Die Veranstaltung war für heute beendet. Beim Verlassen der Tagungsstätte fand ich mich in der Gesellschaft von Jürgen Habermas, wir machten uns gemeinsam auf den Heimweg. Habermas zeigt sich freundlich und zugänglich, Fragen nach den späten Sechzigern, sein Verhältnis zu Adorno einerseits und den Revolutionäre andererseits, wich er allerdings aus. Auch das Verhältnis seiner Gesellschaftslehre zur Soziologie Luhmanns wollte er nicht näher kommentieren, es konnte aber auch an mir und meinen unklaren Fragen gelegen haben. Die Stadt - war es Marburg? - nahm mehr und mehr die Gestalt einer bedrohlichen Ansammlung mittelalterlicher Burgen an, hoch und zerklüftet, schmutziger Sandstein, auf eine antike Weise New York nicht unähnlich. Um überhaupt ins Hotel zurückzufinden, durfte ich Habermas nicht aus den Augen lassen.

Donnerstag, 10. April 2014

Der Leichtsinn des Künstlers


Anläßlich einer Ausstellung anno 1910 hatte Hans-Gerd Herder von der leichtsinnigen Malerei Holger Conrads gesprochen, bei der Ausstellung jetzt stellt er den reflektierten, klar gesteuerten Gestaltungsprozeß heraus. Sollte das einen Reifevorgang weg vom Unbedachten und hin zum Be- und Durchdachten beschreiben, könnte es dem leid tun, der an dem ursprünglich unterstellten leichten Sinn, vielleicht ohne sich allzu viel dabei zu denken, besonderes Gefallen gefunden hatte. Angenehme Vorstellungen vom Leben als Taugenichts und von Mozart, von Pastorale und Primavera lassen sich damit verbinden. Sollte Leichtsinn vielleicht gar, so fragt er aufmüpfig, eine unverzichtbare Ingredienz aller Kunstausübung sein? Dann allerdings müßte Leichtsinn in der Kunst mit als eher gegensätzlich empfundenen Zügen wie bewußter Steuerung oder Schwermut oder Zorn und anderen, ihrerseits nicht ohne weiteres verträglich untereinander, durchaus eine Einheit eingehen können.

Vor nicht allzu langer Zeit noch waren Künstler Getriebene ihrer Inspiration, inzwischen sind aus den Dichtern Schriftsteller geworden und wohl nur aufgrund einer gewissen Unaufmerksamkeit durften die Maler bislang Maler bleiben und wurden von den Ausstellungsmachern nicht, entsprechend den Filmemachern und den Liedermachern, zu Bildermachen umfirmiert. Die Umbenennungen liegen auf der Linie des aggressiv vertretenen Lehrsatzes der Moderne, sie sei der Amboß und wir selbst in jeder Hinsicht unseres Glückes Schmied. Mit Hammerschlägen allein aber ist es nicht getan. Jeder, der sich mit einem Künstler, sei es einem der Worte und Sätze, sei es einem der Farben und Formen, intensiv beschäftigt, wird über kurz oder lang am reinen Konzept des Machens zweifeln. Er wird in den Texten und Bildern Spuren einer gewissen Entmündigung feststellen. Der Künstler wird unter der Arbeit, zur eigenen Verwunderung, kann man annehmen, ein anderer, der durchaus, wenn er die Feder oder den Pinsel aus der Hand legt, in seine alte Haut zurückkehren kann. Vielleicht ist es daher richtiger zu sagen, in ihm nistet sich ein Zweiter ein, den er in gewissen Graden gewähren lassen muß. Verstörung angesichts dieser ungewollten Doppelexistenz läßt sich heilen als leichtgesinnte Offenheit für die Ansichten des Gastes. Das, was wider den Willen und gegen die Absicht des Künstlers geschieht, mag in Wahrheit der Feingehalt der Kunst sein. Der leichte Sinn ist in Holger Conrads Bildern auf den ersten Blick spürbar. Hans-Gerd Herder wird in seiner Einführungsrede genau dies im Sinn gehabt haben, so daß die Worte hier nur eine überflüssige Schleife binden.

Donnerstag, 14. November 2013

The Immanent Frame

Taylor geht dem epochaler Wandel nach von einer Welt um das Jahr 1500, in der es so gut wie unmöglich war, glaubenslos zu sein, zum nahezu entgegengesetzten Zustand um 2000. Er liefert eine großangelegte sektorale Gesellschaftsbeschreibung ohne eigentliche Gesellschaftstheorie, so daß es nicht immer einfach ist, den Autor inmitten der Fülle seiner Gegenstände ausfindig zu machen. In seinem Buch Sources of the Self, das auch bereits umfänglich auf die Säkularisierung eingeht, räumt er wiederholt ein, daß hinter den von ihm behandelten Phänomenen vermutlich harte, kausalitätsverdächtige Faktoren stehen, deren Berücksichtigung größere Distanz erlauben  würde, für deren Analyse er sich aber nicht gerüstet sieht.
Im fünfzehnten Kapitel von A Secular Age erreicht Taylor das Ziel seiner Zeitreise, das Leben im Immanenten Rahmen, in einer Welt ohne Transzendenz und damit, geht man davon aus, daß Religionen nach der Unterscheidung von immanent und transzendent kodiert sind, in einer tendenziell glaubenslosen Welt. Beim immanenten Rahmen handelt es sich um ein historisch erzeugtes, inzwischen dominantes Vorstellungsmuster, in das ein Großteil, wenn nicht die Mehrzahl der heute Lebenden hineingeboren wurde. Es ist schwer, sich gegen ein derartiges als dominant vorgefundenes, nicht unmittelbar nach der Entbindung hinterfragbares Muster zu wehren, gleichzeitig aber ist das Muster als vorgefundenes der Natur der Natur der Sache nach immer schon veraltet. Entstanden ist das Vorstellungsmuster des immanenten Rahmens in der triumphalen Frühphase des rational-wissenschaftlichen Denkens, das sich vor einigermaßen schlichte Aufgaben gestellt wähnte. Die vollständige Erklärung der physikalischen Welt wurde ohne große Anstrengungen für die allernächste Zukunft erwartet, die sogenannte Einrichtung einer gerechten Welt ein war dann nur noch ein Klacks.

Die moderne Wissenschaft zeigt sich inzwischen weit offen zur Transzendenz, allerdings nicht unbedingt zu einer, in der sich die abrahamitischen Religionen noch wohlfühlen können. Von Niels Bohr stammt der Satz, wer behaupte, über die Quantentheorie nachdenken zu können, ohne verrückt zu werden, habe sie nicht verstanden, den Narren in Christo entsprechen mithin der Verrückten in der Physik. Gödel hat, wenn man so will, die Unmöglichkeit der Immanenz bewiesen, Gegenstand der Evolutionstheorie ist eine permanent sich selbst transzendierenden Immanenz, die Gläubigen sollten sich eher mit ihr verbünden als sie auf der Grundlage einer engen Bibelauslegung zu bekämpfen; nicht auszuschließen - nach dem Bild, das die Menschheit momentan abgibt, allerdings unwahrscheinlich -, daß uns auf evolutionärem Wege irgendwann Flügel wachsen und wir zu Engeln werden. Niklas Luhmann läßt öfters durchblicken, daß er den Namensvetter aus Kues an der Mosel, aus der Zeit noch vor 1500, als Weltenerklärer über Habermas stellt &c.

Angestoßen von den Erfolgen des rational-wissenschaftlichen Denkens ist eine neue moralische und geistige Disposition entstanden. Sie gründet auf einer wie auch immer verstandenen Mündigkeit des Menschen, und ihre Jünger erleben sich in einer vom Menschen selbst gestaltete Sozietät focussed on human ends: human welfare, human rights, human flourishing, equality between human beings geleitet von der Idee des mutual benefit. Aus avancierter wissenschaftlicher, hier: soziologischer Sicht ist diese Disposition, verstanden als Zustandsbeschreibung oder reale Zielerwartung, nicht weniger abwegig als der viel gescholtene Glaube an die Jungfrauengeburt. Demokratie ist eine Regierungstechnik und nicht der Name des heiligen Geistes, der im neuzeitlichen Gewand angetreten wäre, die chiliastische Erwartung der Christenheit zu erfüllen, die durchschnittlich drei voll- oder halbautomatischen Feuerwaffen in amerikanischen Haushalten dienen erkennbar nicht dem mutual benefit, und das Florieren der Menschheit kann, wo es denn stattfindet, vielfach als Sedierung durch Konsum unter Inkaufnahme kollateraler Umweltvernichtung interpretiert werden.

Taylor rüttelt seiner Art entsprechend verhaltener an den geschlossenen Türen der sich einigelnden Immanenz. Seine Geduld, jedweder Position ihr Recht zu geben und keiner das ganze Recht, ist gleichermaßen bemerkens- wie bewundernswert. Anders als hier geschehen, vermeidet er jede Polemik. Unnachsichtig ist er allerdings gegenüber der von ihm so genannten Subtraktionstheorie, wonach sich der immanente Rahmen zwanglos durch Wegstreichen überflüssigen Glaubensdekors ergeben hätte. Ebensowenig akzeptiert er die Ersatztheorie, die mit Kants pompösem Austritt aus der Unmündigkeit etwas völlig Neues, zuvor Unbekanntes anbrechen sieht. Stattdessen sieht er eine komplizierte, auf verschiedenen Ebenen stattfindende Umformung der Disposition 1500 in die Disposition 2000. Eben das erlaubt ihm, allen ihr Recht einzuräumen, denen, die sich nicht gerührt haben, denen, die sich ganz im immanenten Rahmen eingerichtet haben, und denen, die auf einer der vielen Zwischenstufen verharren, vor allem aber auch dem großen Heer der Neutralen, die sich selbst weder als gläubig noch als dezidiert ungläubig sehen.

Der immanente Rahmen ist weder die leuchtende Wahrheit jenseits fehlgeleiteten Aberglaubens noch die Wahrheit als schale Neige nach dem verklungenen Fest der Religionen. Bei der Gegenüberstellung der beiden Positionen, der immanent-transzendenten von 1500 und der immanenten von 2000, gibt es keinen Sieger und keinen Verlierer, so wie es der Fall sein müßte, wenn 2000 einfach die von allem Übel gereinigte Fassung 1500 wäre. Im Fazit ist das Leben im immanenten Rahmen nicht nachweislich gescheiter als das in einer transzendent ergänzten Welt. Dabei berücksichtigt Taylor noch nicht einmal das wort- und argumentationslos in den Bildwerken Giottos und anderer und in der Musik Bachs und anderer verwahrte unvergleichliche christliche Erbe, das dem Gezänk Schweigen gebietet. Cioran hat eingestanden, daß Bach uns den Tod Gottes vergessen läßt, und Sebald fragt sich und uns, ob die weißen Flügel der Engel Giottos mit den wenigen hellgrünen Spuren der Veroneser Erde nicht das weitaus Wunderbarste von allem sind, was wir uns jemals haben ausdenken können.

Sonntag, 10. November 2013

Säkularisierung

In seinem monumentalen, von ihm selbst immer wieder angesichts der Größe der Aufgabe als bei weitem zu schmal empfundenen Werk zeichnet Charles Taylor den Prozeß der Säkularisierung im Zeitraum von 1500 bis 2000 nach. Während um 1500 ein glaubenloses Leben so gut wie undenkbar war, sind in unserer Zeit die Anhänger eines exklusiven, gottfreien Humanismus in der Überzahl. Es ist aber nicht einfach die Ablösung eines Zustands durch einen anderen, currents swirl in different directions, es gibt inzwischen zahlreiche Formen des Glaubens und nicht weniger Formen des Unglaubens und dazwischen eine große neutral zone, a kind of no-man’s-land. 500 Jahre, nach unserem heutigen Kenntnisstand nur ein Wimpernschlag im Auge des Herrn, nach traditioneller Berechnung, die das Alter der Welt auf nur wenige Tausend Jahre veranschlagte, allerdings eine beträchtliche Spanne und in jedem Fall, wie es scheint, Zeit genug, den Herrn aus dem Auge zu verlieren.
Der Prozeß der Säkularisierung umfaßt eine Reihe von Komponenten. Da ist die bereits von Max Weber ins Spiel gebrachte Entzauberung der Welt. Im Jahre 1500 führten Geister, Hexen, Engel u.a. noch ein reales Leben, heute sind sie aus dem Alltag so gut wie verschwunden. Die Individuen, die dem Zugriff der übernatürlichen Kräfte schutzlos ausgeliefert waren, sind jetzt durch die Gewohnheit rationalen Denkens bestens gepolstert (buffered). Neben der unablässig ablaufenden physikalischen Zeit gab es die Hohe Zeit, die als Abglanz der Ewigkeit an den Festtagen der Christenheit spürbar wurde. Niemand, der heute in der Adventszeit durch das auf Konsum getrimmte, dudelnde Innere der Stadt geht, spürt noch den Hauch des Ewigen. Der Mensch hatte eine privilegierte Stellung in einem von Gott auf seine Belange hin geordneten Kosmos, heute schaut er in die gnadenlose Raum- und Zeitweite des Universums. Diese und andere Veränderungen haben die Glaubenswelt aus ihrer als unverrückbar erscheinenden Verankerung gehoben.
Nach der üblichen Erklärung hat das in der Neuzeit aufkommende und sie seither bestimmende wissenschaftlich-rationale Denken das Denken in Glaubenskategorien gleichsam verscheucht. Diese Art der historischen Nacherzählung ist Taylor zufolge nicht falsch, aber eindeutig zu dünn. Säkularisierung bedeutet nicht unmittelbar Abkehr von der Religion, sondern zunächst eine graduelle Abkehr der Religion von spezifischen, auf das Jenseits gerichteten Lebensformen, wie dem Mönchstum, hin zum Saeculum, zu einem innerweltlich gelebten Glauben. Im Deismus gingen das religiöse und das rationale Denken eine eigenartige Verbindung ein. Gott verzichtete fortan auf unmittelbare Eingriffe in das Weltgeschehen, blieb aber greifbar in dem auf ihn zurückgehenden vernünftigen Design der Welt, das von der korrespondierenden menschlichen Vernunft entschlüsselt werden kann. In diesem letztlich labilen Verhältnis zeichnet sich aber bereits ab, daß der Glaube in Zukunft nicht mehr auf die Vernunft, die Vernunft im Rahmen eines exklusiven Humanismus aber sehr wohl auf den Glauben verzichten kann. Allerdings kann auch der exklusive, gottlose Humanismus in seiner spezifischen europäischen, für den Kanadier Taylor: in seiner nordatlantischen Ausprägung seine Geburt aus dem Geist des Christentums nicht verhehlen: A moral temper to which it seems obvious that our major concern must be our dealings with others, in justice and benevolence; and these dealings must be on the level of equality.
Wenn dies die den nordatlantischen Raum offiziell dominierende Einstellung sein mag, so ist sie es sicher nicht in unbestrittener Weise. Für jemanden, der sich im Wegenetz Romantik, Schopenhauer, Nietzsche, Freud, Foucault voranbewegt hat, wird sie lachhaft, wenn sie mehr sein will als die nüchterne Grundlage politischen Handelns und beansprucht, den Sinnbezirk bis zum Horizont auszufüllen. Auch für den Glauben ist die einseitige Bindung an einen optimistischen Humanismus nicht gesund. Die Vorstellung des Jüngsten Gerichts, vom Einzug in die strahlende Ewigkeit auf der einen und vom Höllenverdammnis auf der anderen Seite offered, for all ist faults, an articulation of the dark side of creation. Simply negating it, as many of us modern Christians are tempted to do, leaves a vacuum. Or it leaves an unbelievably and childishly benign picture, which cannot but provoke people either to unbelief, or to a return to an hyper-Augustinian mode of faith, unless it leads to a recovery of the mystery of the Cruifixion, of world-healing through the suffering of the God-man.

Taylor betont, daß er sich nicht im Rahmen einer soziologischen Theorie, sondern im Feld sozialer Einbildung (social imaginary) bewegt, in dem, was normale Menschen als ihre soziale Umgebung erleben. Die Unterscheidung erinnert ohne weiteres an Luhmanns Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik. Mit Semantik (social imaginary) beschäftigt sich Luhmann allerdings nur zum Zweck und zum Beleg seiner Theorie. Da für ihn Gesellschaft ausschließlich aus Kommunikation (und nicht etwa aus Menschen) besteht, ist gleichzeitig ein scharfer Unterschied zwischen Semantik und Theorie nicht auszumachen, auch Theorie ist Semantik, allerdings in einer sehr speziellen und extremen, bei Taylor fehlenden Form. In dieser Sichtweise entfällt auch das Pingpong zwischen Hegel und Marx, die Frage also, ob nun das Bewußtsein (Semantik/social imaginary) das Sein (Gesellschaftsstruktur) bestimmt oder umgekehrt, die Unterscheidung selbst ist obsolet. Dem Luhmannadepten geht es bei der Lektüre Taylors wie einem bislang allein auf die Klasse der Wirbeltiere spezialisierten Zoologen, der mit einer Studie über das Leben der Tintenfische beauftragt wurde. Schon bald aber kann er die Begeisterung vieler seiner Kollegen für diese wundersamen Tiere verstehen.