Sonntag, 3. April 2011

Jed Le Strange

Nicht ohne darüber irritiert zu sein, fühlt sich der Sebaldianer in Houellebcques Buch La carte et le territoire zunehmend daheim. Die erzählerische Oberflächegestaltung und die ablaufenden Erzählprogramme der beiden Autoren sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können, ähnlich aber ist das ihnen zugrundeliegende und sie generierende Weltverhältnis. Das wird vollends deutlich, wenn sich der Protagonist Jed Martin am Ende in Sebalds säkularen Paradeheiligen Le Strange verwandelt.

Auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Erfolges als bildender Künstler Jed décida de déménager pour s’installer dans l’ancienne maison de ses grands-parents dans la Creuse. Er arrondiert das Grundstück durch Zukauf auf einen Umfang von nicht weniger als siebenhundert Hektar, zäunt das fortan ungenutzte Gelände ein und baut eine Straße hindurch, die es ihm erlaubt, ohne Berührung mit der umwohnenden Dorfbevölkerung einen einigermaßen entfernten Supermarkt zu erreichen. Indem sie ihm die biologische Existenz ermöglicht, tritt die Straße bei ihm gleichsam an die Stelle von Le Stranges Haushälterin. Am großelterlichen Haus selbst wird nichts an-, ausgebaut oder renoviert. Die Kosten für den Ausbau seiner Einsamkeit beziffern sich auf 8 Millionen €, nach den im Roman zuvor genannten Zahlen ein Drittel seines Vermögens. Jed Martin ist damit der gleichen Vermögenskategorie zuzuordnen wie der Major Le Strange. Bei den Preisen, die seine Bilder erzielen, könnte er sein Vermögen im übrigen beliebig steigern, unternimmt in dieser Richtung aber nichts. Anders als ihre heiligen Vorläufer denken die beiden Eremiten bei Eintritt in die Einsiedelei nicht an ein Wegschenken ihres Vermögens, die Barmherzigkeit ist den Sozialsystemen gewichen, deren melioristisches Element ihnen fremd ist. Wie die Heiligen haben sie verstanden, daß der Mensch nicht für die Welt gemacht ist, haben aber nicht mehr die Möglichkeit, zu Gott zu flüchten. Le Strange mimt in gewissem Sinne noch die Heiligkeit, indem er sich auf seinen Gelände mal als der heilige Franz und dann wieder als der heilige Hieronymus darstellt. Wenn der Mensch aber sich nicht mehr aus der Welt zu Gott flüchten kann, wird augenblicklich klar, daß, noch weniger als die Welt zum ihm, er zur Welt paßt. Bei Sebald flammen immer wieder Vernichtungsvisionen auf, die den Menschen von der Erdoberfläche tilgen, Jed Martin gibt seine späten Lebensjahrzehnte an ein unter Ausschluß der Öffentlichkeit betriebenes Kunstprojekt, qui constitue sans nul doute la tentative la plus aboutie, dans l’art occidental, pour représenter le point de vue végétal sur le monde. Das Buch schließt mit dem Satz: Puis tout se calme, il n’y a plus que les herbes agitées par le vent. Le triomphe de la végétation est total.

Fremde, von niemandem gewollt, das ist, soweit absehbar, unsere Lebenslage. Allons, je n'ai pas eu une mauvaise vie, bilanziert Jed Martin am Ende. Sebald hätte ihm beigepflichtet, über Wyndham Le Strange wissen wir zu wenig, als daß wir in dieser Hinsicht für ihn sprechen könnten.

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