Montag, 5. Januar 2009

Laboratorien


Gelesen: Nelson Goodman, Weisen der Welterzeugung

A la Remei, lost in strange and unknown worlds

Will man begrifflich über einen Weltausschnitt reden, muß man ihn Laborbedingungen unterwerfen. Das stellt die Philosophie, deren Aufgabe es ja ist, das Ganze im Auge zu behalten, vor besondere Schwierigkeiten, da die Welt kein Labor sein kann. Habermas etwa wird immer wieder der Vorwurf gemacht, er dehne die realen Laborbedingungen des philosophischen Hauptseminars bis an den Horizont, um dann über den Horizont und das, was hinter ihm liegt, etwas sagen zu können.

Goodmans globale Laborbedingungen überzeugen zumindest den, der gerne Philosophie rezipiert, ohne selbst über philosophisches Vermögen zu verfügen: Solange gegensätzlich richtige (Welt-)Versionen, die nicht alle auf eine einzige reduzierbar sind, zugelassen werden, ist Einheit nicht in einem ambivalenten oder neutralen Etwas unterhalb dieser Versionen zu suchen, sondern in einer sie alle umfassenden Organisation. Von geradezu poetischer Schönheit ist seine Anmerkung, daß die möglicherweise den verschiedenen Versionen zugrunde liegende Welt, die ausdrücklich zu bestreiten nicht lohne, ganz und gar verloren ist.

Aber natürlich kann auch Goodman, wenn er sich konkreten Weltausschnitten zuwendet, keinen gleichmäßigen begrifflichen Druck auf die Welt aufrecht erhalten. Im zweiten Kapitel wendet er sich Fragen des Stils zu: Manche sagen, so Goodman, der Stil beginne dort, wo Tatsachen aufhören, und Gefühle anfangen. Das ist locker hingeworfen, wer unter anderem mit Benn groß geworden ist, gehört offenbar nicht zu diesen Manchen, aber darum soll es gar nicht gehen. Goodman baut hier auch nur etwas auf, um es dann schleifen zu können. Dabei kann er diesem ohnehin zur Zerstörung bestimmten Gebäude nur reduzierte Aufmerksamkeit widmen. Gefühl gewinnt zwar im Prozeß der Zerstörung gewisse Konturen, geht letztendlich aber längst nicht mit vergleichbar scharfen Umrissen aus dem Gefecht wie Stil. Daraus ist kein Vorwurf abzuleiten, der gleichmäßige Blick auf die Welt ist allein die Sache Gottes und vielleicht die Sehnsucht einiger Künstler, Sebald hat sie bei Pisanello festgestellt. Aber vielleicht kann doch der Eindruck entstehen, daß Goodman für das komfortable Labor, das er sich zur Untersuchung der Symbolsysteme eingerichtet hat, eine recht hohe Miete zu zahlen hat.

Goodman akzeptiert den Vorwurf, er habe den Begriff der Denotation ohne Argument zum Kern der Darstellung gemacht, ohne weiteres. Das sei eine Setzung seines Theoriedesigns. Dann bleibt die Frage, wie klug diese Setzung ist. An einer Stelle erwähnt Goodman Fehden mit den Kollegen aus der Linguistik, der Streitgegenstand bleibt unerwähnt, sollte es die Denotation gewesen sein, würde das niemand verwundern.

Zu Don Quijote stellt Goodman fest, er könne nicht denotiert werden, weil es ihn einfach nicht gibt. Woher weiß Goodman das, und was bedeutet „einfach“? Ist die Einsicht der Innenschau entnommen? Von einer eingeborenen Don Quijote-Idee ist nicht auszugehen. Mehrheitsmeinung? Die klare Mehrzahl unserer Mitmenschen weiß nichts von Don Quijote geschweige denn von seiner vorhandenen oder fehlenden Denotierbarkeit. Cervantesforschung? Dann aber gibt er einem bestimmten Symbolsystem den Vorrang und gerät in die Nähe der zugrundeliegenden Welt, die er doch auf so schöne Art ganz und gar verloren hatte. Außerdem weiß niemand, ob die Cervantesforschung schon zum Ende gekommen ist, vielleicht erweist sich der Don Quijote ja doch noch als Schlüsselroman über einen gewissen, seinerzeit ganz realen, wenn auch im Augenblick uns noch unbekannten Don Quojite, die fiktionale Ausschmückung würde nicht stören und kein Argument sein, denn auch im realen Leben begegnen wir einander und zumal uns selbst nicht ohne ein dauerhaftes klares Übergewicht an Fiktion.

Die Sprache selbst macht denn auch nicht mit, zwischen den Ausdrücken: Don Quijote hatte einen Bart und: Cervantes hatte einen Bart gibt es keinen Unterschied, ein wie immer geartetes Denotationsformans tritt nicht auf. Und außerdem, warum sollte es in unserer Gegenwart auch Cervantes noch „mehr geben“ als Don Quijote, haben Zeit und Tod den Menschen Cervantes nicht inzwischen real fiktionalisiert? Die Zeit hat offenbar nur begrenzten Zutritt zu Goodmans Labor und der Tod gar nicht.

Die Wahrnehmung suggeriert uns unwiderstehlich die verlorene zugrundeliegende Welt als real, die Sprache ebenso unwiderstehlich als denotierbar. Wie immer die Welt aber sein mag, wenn sie denn ist, sie ist sicher nicht so, wie Wahrnehmung und Sprache sie uns suggerieren. Die Vorsicht, die inzwischen im Umgang mit dem Begriff der Realität, la gran hipótesis de la mente pensante, State of the Art ist, sollte sich auch auf den Begriff der Denotation erstrecken.

Der Tod hat keinen Zutritt zu Goodmans Labor, das unterscheidet es auf das angenehmste von biologischen Labors, in denen Affen gemartert und zerstört werden. Das Labor ist licht, angenehm temperiert, intelligent ausgestattet, versteht sich, und keineswegs ohne Humor. Wer sich dort für einige oder längere Zeit aufhalten und mitarbeiten darf, hat es sicherlich nicht schlecht getroffen.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Moltes gràcies!

Remei wird weiter in Goodmans Labor arbeiten und versucht ihren Weg "in strange and unknown worlds" zu finden.

Una abraçada.