Mittwoch, 11. Februar 2009

Hudannit

Wiedergelesen: Rex Stout, Nero Wolfe

Als Hirnkaugummi hat Gottfried Benn die Kriminalromane verstanden, also als leichtes Muskeltraining an den Ruhetagen des Leistungsdenkens und -dichtens. Im Brief an einen Freund tut er seine Vorfreude kund auf ein komplettes Wochenende mit Logis im Landhaus der Agatha Christie. Trotz Fernsehen und ungeachtet aller anderen Medienkonkurrenz steht auch uns diese schlichte und doch unvergleichliche Freude noch unverändert offen.

Der klassische britische Whodoneit lebt von seinem anheimelnden Setting, Landhäuser, Dienerschaft, tiefe Sessel, Portwein, exzellente Cognacs und, bei Bedarf, auch Zigarren. Der Leser wird während der Lektüre diesen Platz, einmal eingenommen, nicht wieder verlassen, was immer auch sich abspielt an grausigem Geschehen draußen.

Mit dem Gefühl, daß ich frei sei und ledig, wanderte ich in den Gassen herum und versuchte mir vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn ich in einer dieser steinernen Burgen wohnte, bis an mein Lebensende mit nichts anderem beschäftigt, als dem Studium der vergangenen und der vergehenden Zeit. Weil aber niemand von uns wirklich still nur für sich sein kann und wir alle immer etwas mehr oder weniger Sinnvolles vorhaben müssen, wurde das in mir aufgetauchte Wunschbild von ein paar letzten, an keinerlei Verpflichtung gebundenen Jahren bald schon verdrängt von dem Bedürfnis, den Nachmittag irgendwie auszufüllen, und also fand ich mich, kaum daß ich es wußte, in der Eingangshalle des Musée Fesch mit Notizbuch und Bleistift und einem Billet in der Hand.

Sebald erzählt hier mit dem Mystery-Lächeln seiner Prosa Pascals bekanntes Diktum vom Ursprung allen Unheils nach, eines Unheils, das allein daher rühre, daß der Mensch es nicht auszuhalten vermöge auf seinem Stuhl in seinem Zimmer. An Pascals der Sache nach richtiger Einschätzung kann kein Zweifel bestehen, liefe die Menschheit allerdings auf zu ihrem so bestimmten Ideal, wäre auch das Studium der vergangenen und der vergehenden Zeit nicht mehr möglich, hätte die gänzlich leere Zeit doch keinerlei Hintergrund mehr, von dem sie sich abheben könnte, um sichtbar zu sein.

Wir alle haben wohl, wenn auch unterschiedlich verteilt, beides in uns, das Verlangen nach tiefem Frieden und immerwährender Ruhe ebenso wie das Verlangen nach Erlebnis und Aktion. Rex Stouts besonderer Einfall besteht darin, daß er diese beiden unverzichtbaren Bestandteile einer jeden Person weitgehend säuberlich getrennt aufteilt auf die beiden zentralen Figuren seiner Kriminalromane, den Meisterdetektiv Nero Wolfe und seinen Assistenten Archie Goodwin.

Nero Wolfe steht in der Tradition der klassischen Kopfdetektive Sherlock Holmes und Hercule Poirot und hebt diese Tradition über sich hinaus durch den nahezu vollständigen Verzicht auf Lokomotion und Körpereinsatz. Er verläßt sein Braunsteingebäude in der 35. Neu Yorker Straße nie oder doch nur in äußerster Not und lebt ansonsten in dieser steinernen Burg mit einiger Einschränkung dem Studium der vergangenen und der vergehenden Zeit. Die vergehende Zeit ist akribisch aufgeteilt über den Tag in Lesen, Pflege eines riesigen Orchideengartens im Dachgeschoß und der Einnahme, in Gesellschaft, ebenso ausgedehnter wie erlesener Mahlzeiten. Hat er zeitweise den Eindruck überhand nehmender Leibesfülle, so wird eine Viertelstunde täglich für leichte Bewegungsspiele wie Pfeilwerfen abgezweigt. Detektiert wird nur unter dem rauhen Diktat des Geldverdienens und nicht in Zeiten eines ausgeglichenen Bankkontos. Der Unterhalt des Hauses beansprucht allerdings erhebliche Summen with the weekly wages of Theodore Horstman, the orchid valet, Fritz Brenner, chef and house steward and of the handy man Archie Goodwin, the fresh caviar which Wolfe stirred into his coddled eggs at breakfast, and with the various needs of the orchids in the plant room up on the roof of the old brownstone - so daß denn doch immer wieder Verbrechensaufklärung und -verhinderung betrieben werden muß. Der Zustand der Detektivarbeit hat bei Nero Wolfe folgende Gestalt: Er sitzt zurückgelehnt und mit geschlossenen Augen in seinem Sessel, regungslos und nur die Lippen bewegen sich vor und zurück wie beim Karpfen, wenn er an die Oberfläche des Tümpels gestiegen ist.

Die verblüffenden Erfolge der Kopfdetektive hängen ab von einer Verläßlichkeit der Welt und der sie denotierenden Zeichen, eine Verläßlichkeit, die wir uns wohl wünschen mögen, eigentlich aber fürchten müßten, denn sie hätte schon früh alles Leben unterbunden und gar nicht erst zugelassen, daß Menschen und Detektive entstehen. Die Welt wäre nicht gelenkig genug für Evolution, erst völlig festgefahren und erstarrt, cuando ya no importe, wäre sie beliebig entzifferbar für jedermann, und der Spaß bei der Lektüre von Detektivromanen wäre dahin. Dabei würde es sich dann bei dieser Betrachtung allerdings um einen teuflischen Spaß mit dem Nichts handeln, und bei Sherlock Holmes ist das satanische Element ja auch nie kaschiert worden. Zur satanischen Weltleere, die der Kopfdetektiv benötigt, gehört die Asexualität, die Holmes ebenso kennzeichnet wie Poirot und Nero Wolfe. Bei Sebald, der die Schwindel.Gefühle im Inneren des Werkes der Wirtin Luciana Michelotti als Kriminalroman erläutert, ist Asexualität, als Verweigerung der Prokreation, Teil einer großen Weltverwünschung, die wie ein Ruf nach Erlösung klingt. Und in der Tat haben nicht zuletzt die Heiligen Jungfräulichkeit und sexuelle Askese für sich reklamiert, währen Updike vor seinem Tod die Witches of Eastwick durch die Widows of Eastwick bestätigt und Sexualität in das Zentrum eines paganen Hexenkults gerückt hat.

Den Kontakt zur Außenwelt hält im Auftrag des Kopfdetektivs der Aufklärungsassistent Archie Goodwin aufrecht, er sucht, wenn es denn sein muß, auch das Museum Fesch auf der Insel Korsika auf auf und Verbrecher in der Größenordnung des Napoleon Bonaparte. Seine Romanaufgaben ähneln denen des Dr. Watson, in dem sich Holmes Überspanntheiten spiegeln und zugleich seine meilenweit überlegene Kombinationsgabe. Goodwin ist aber deutlich unabhängiger in seinen detektivischen Leistungen, er verkörpert den moderneren amerikanischen Sleuth und er könnte sich ohne weiteres selbständig machen und heranwachsen zu einem Philip Marlowe mit eingeschränktem Charisma. Tatsächlich sieht man bei einigen Fällen nicht deutlich, warum er sie nicht gleich mit seinen amerikanischen Mitteln löst. Es könnte scheinen, als ließe er Nero Wolfe mit seiner montenegrinischen und damit, wenn auch in einigermaßen extravaganten Form, europäischen Herkunft nur aus Freundlichkeit etwas zu tun übrig für die Karpfenmaularbeit. Vor allem aber nimmt er natürlich Rücksicht auf den Autor, der allein durch die Aufspaltung des Pascalschen Menschen zu beachtlichen Verkaufserfolgen kam.

Der Leser wird zum Gast im Brownstone West 35th Street, das er nur ungern wieder verlassen möchte. Abgrundtief, so muß man sich vorstellen, ist der Frieden in den oft mehrwöchigen Pausen zwischen den Kriminalfällen, aber dann wird auch schon bald der Archie wieder wach in uns , und wir freuen uns, wenn the doorbell rings again.

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