Donnerstag, 14. Januar 2010

Zu Gast bei Joseph de Maistre

Iasiah Berlin: Joseph de Maistre and the Origins of Fascism
E.M. Cioran: Essai sur la pensée réactionnaire à propos de Joseph de Maistre

wo jitz de Gelehrte vo Ufklärung und Freiheiten und settigem Züüg pralatzget hei

Wenn zwei so verschiedene Denker wie der liberale, auf Ausgleich bedachte Iasiah Berlin und der, so scheint es, fortwährend entlang leidenschaftlicher Leitfäden flammende Emil Cioran zu Gast beim selben Berufskollegen sind, fällt das auf. Wenn sie obendrein als Schicksalsgemeinschaft auftreten, ist das Grund zum Nachdenken. So muß man es aber wohl sehen, wenn Berlin, abgesehen von sich selbst, Cioran als den einzigen nennt in der neueren Zeit, der Joseph de Maistre hinreichend ernst nimmt; vernachlässigt ist dabei de Maistres kanadischer Biograph Richard Lebrun, der aus beruflichen Gründen naturgemäß zu Ernst verpflichtet war.


Zu Gast bei Joseph de Maistre, der über den König noch und den Papst den Henker stellte, den er auch farbiger zu gestalten verstand als das Bild Gottes: Qu’est-ce donc que cet être inexplicable qui a préféré à tous les métiers lucratifs, honnêtes et mêmes honorables qui se présentent en foule, celui de tourmenter et de mettre à mort ses semblables ? Il vit seul avec sa femelle et ses petits, qui lui font connaître la voix de l’homme : sans eux il n’en comnnaîtrait que les gémissements. On lui jette un parricide, un sacrllège : il le saisit, il l’étend, il le lie sur un croix horizontale, il lève le bras : alors il se fait un silence horrible, et on n’entend plus que le cri des os qui éclatent sous la barre, et les hurlements de la victime. Il a fini, il descend : il tend sa main souillée de sang, et la justice y jette quelques pièces d’or. Il se met à table et il mange ; au lit ensuite, et il dort. Dieu qui est l’auteur de la souveranité, l’est donc aussi du châtiment. Domini enim sunt cadines terrae, et posuit super eos orbem.






Cioran ist vor allem an Maistres Denk- und Schreibstil interessiert, ses rares complicités avec le bon sens und seine nicht weniger seltenenen accès de modération: Ce qui nous retiendra chez lui, c’est sa superbe, sa merveilleuse impertinence, son manque d’équité, de mesure et, parfois, de décence. Les vérités dont il se fit l’apôtre valent uniquement par la déformation passionée que leur infligea son tempérament. Mancher mag meinen, diese Beschreibung ließe sich auch auf Cioran selbst wenden, ihm selbst wird das nicht entgangen sein. Er grenzt sich aber insgesamt von allen Denkern und damit auch von de Maistre ab, qui attribuent au processus historique une signification. Passer d’une conception théologique ou métaphysique au matérialisme historique, c’est changer simplement de providentialisme.

Reaktionäre und Konservative orientieren sich an einer Utopie der Vergangenheit, einem Goldenen Zeitalter, Progressive und Revolutionäre an einer Utopie der Zukunft, dem Sonnenstaat. Wenn man auf beide zeitlichen Außenposten verzichtet, an denen das Übel als aufgehoben gedacht werden kann, muß man mit dem Übel leben. Man kann es als Erbsünde den Menschen zurechnen und Gott zur Lösung überlassen, oder man kann eine mißratene Schöpfung, einen mauvais démiurge und damit ein nicht aufhebbares Grundübel annehmen; Cioran hat es über die bloße Annahme hinaus sein Lebtag darauf angelegt, das Übel ohne Wimpernschlag zu fixieren, in der existentialistischen Art der Nachkriegszeit einsam und frei von den Zeitumständen.

Die Progressiven haben einen gewissen Deutungsvorteil, unbestreitbar schreitet die Welt auf die eine oder andere Art fort. Von Progressivität im engeren Sinne spricht man aber erst dann, wenn die Neuigkeit des Neuen überschätzt und das Neue ohne hinreichenden Grund positiv bewertet wird. Wenn Cioran für sich eine neutrale Stellung zwischen Reaktionären und Konservativen auf der einen und Progressiven und Revolutionären auf der anderen Seite beansprucht, so glaubt er doch, daß die Reaktionäre in der Regel besser schreiben und sagt auch warum: Pourquoi les conservateurs manient-ils si bien l’invective, et écrivent-ils en général plus soigneusement? C’est que, furieux d’être contredits par les événements, ils se précipitent, dans leur desarroi, sur le verbe dont, à défaut d’une substantielle ressource, ils tiennent vengeance et consolation. Damit hat Cioran zugleich auch seinen eigenen stilistischen Anspruch klargelegt, dessen Einlösung ihm z.B. Updike bestätigt, noch während er ihn kritisiert: He writes painfully well. Wer das Absolute und mit ihm das Übel starr fixiert, die Welt also, gegen die wir immer verloren haben, der ist umsomehr à défaut d’une substantielle ressource.

Sowohl Cioran als auch Berlin vermerken, daß Maistre in seiner Korrespondenz, dort wo er nicht auf seine Idee fixiert ist, ganz anders erscheint: liebendwürdig und freundlich. Auch Cioran ist hier, wo er über einen Kollegen referiert und nicht einsam dem Absoluten gegenübersteht, für die, die ihn vornehmlich aus seinen „absoluten“ Schriften wie Le mauvais démiurge oder L’inconvénient d’ être né kennen, nicht leicht als derselbe zu identifizieren und weit weniger von I. Berlin entfernt, als man hätte denken können.

Reaktionäre orientieren sich an der Vergangenheit, Revolutionäre an der Zukunft, beide aber meinen die Vergangenheit. Auch de Maistre hat sich als Denker des Absoluten verstanden, wobei für ihn das Absolute nicht der verborgene Hintergrund, sondern das Ganze und vor allem auch die politische Ordnung ist. Dem Problem des Grundübels begegnet er dadurch, daß er es rundum und vor allem auch in seinen gräßlichsten Äußerungen, siehe den Lobpreis des Henkers, zum Grundsegen erklärt. Damit unterscheidet er sich fundamental von faden Konservativen wie seinem Freund Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald, die bloß festzuhalten versuchen, was nicht zu halten ist, und wird, in der Interpretation Berlins, zu einem Vorläufer und Wegbereiter der totalitären Regime des zwanzigsten Jahrhunderts. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit der Verhängung eines Anathems: Maistre’s political psychology has proved, if only by revealing, and stressing, destructive tendencies which humane and optimistic persons tend not to want to see, at times a better guide to human conduct than the faith of believers in reason; or at any rate can provide a sharp, by no means useless, antidote to their often over-simple, superficial and, more than once, disastrous remedies. – Man mag sich fragen, ob im Augenblick, da die EU sich immer stärker als Tugendstaat des Nichtrauchens und aller anderen guten Ding geriert und zugleich die dunklen Kräfte des Marktes immer unbekümmerter entfesselt, ein neuer, gewandelter de Maistre am Platz sein könnte.

Wir haben immer noch Niklas Luhmann. Gegen eine Einordnung seiner Systeme als das Grundübel der Welt, hätte er womöglich wenig einzuwenden gehabt, denn daß er die Systeme feiert, glauben nur los tontos, um hier ausnahmsweise einmal Gómez Dávilas Lieblingsvokabel aufzugreifen. Die sozialen Systeme im Sinne der Systemtheorie sind bei weitem flexibler als de Maistres starre Gottesordnung und kommen auch ohne Henker aus. Die Einordnung der gesellschaftlichen Systeme als ein Übel wäre für Luhmann wohl möglich aber nicht sinnvoll gewesen, nicht sinnvoller jedenfalls als eine entsprechende Qualifizierung der atomaren Struktur der Physik oder der molekularen der Chemie. Was Gott sieht, wenn er denn von der anderen Seite auf die Bauformen seiner Welt schaut, wissen wir nicht. Er hat viele Möglichkeiten. Stanisław Lems Solarisozean produziert anthropomorphe Gebilde mit basaler Neutrinostruktur, da mag es dann auch in der Soziologie schon ganz anders aussehen.

1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Blog-Kommentar, wegen Error 400? privatissime zugestellt, hier nun ans Licht der Öffentlichkeit gebracht:

Assoziation zu "Zu Gast bei Joseph de Maistre"

Lässt sich eventuell die Charakterisierung des Progressiven und Konservativen mit Musils Unterscheidung des Appetithaften und Nicht-Appetithaften, bzw. des Animalischen und Vegetabilen als Grundgegensatz der Gelüste kombinieren? Die vegetabile Art des Menschseins bedeute einen Mann "ohne Eigenschaften", den man auch einen Nihilisten nennen kann, "der von Gottes Träumen träümt; im Gegensatz zum Aktivisten, der in seiner ungeduldigen Handlungsweise aber auch eine Art Gottesträumer ist, und nichts weniger als ein Realist, der weltklar und welttätig sich umtut." (vgl. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Roman, II, aus dem Nachlass hrsg. von Adolf Frisé, Reinbek 2000 (12. Auflage), Kap. 52, Atemzüge eines Sommertags,S. 1232 - 1239). Erich