Samstag, 25. Juli 2009

Plaisir

Auch das Unglück der Heiligen ist ihr Geschlecht, ist die furchtbare Separation der Geschlechter


Gleichzeitig wollte ich überprüfen, warum mir dieser Autor oft gegen mein Empfinden war. Es ergab sich: es ist das Fornikatorische. Dies Fornikatorische, das als Ganzes, als existentieller Stoff medioker bleibt. Dieser Autor hat Sicherheit, Kontur und Überlegenheit, er wird mit seinem Thema fertig, er ist innerhalb der allgemeinen Romaninferiorität eine große Leuchte, er betreibt das Geschäft der Musen, aber dies Fornikatorische, das das ganze epische Oeuvre durchspinnt, vielmehr: trägt und bindet, entzieht ihm den Rang. Es tritt so sehr hervor in jeder seiner Äußerungen, daß es ganz offenbar für ihn das Mittel war, um zum Ausdruck zu gelangen,
das Mittel, mit dem er die Welt erfaßte. – So äußert sich Gottfried Benn über Fontane, nur daß in seinem Text anstelle von Fornikatorisch Pläsierlich erscheint. Der manipulierte Text zielt auf John Updike. Ruft man seine Erzählwelt auf im Kopf, so ist die erste Erinnerungsspur, daß jede und jeder mit dem Zutritt als Romanfigur auch gleich ein Freiticket über drei Ehescheidungen und beliebig viele Konkubinate erhält, all you can fuck. Der Autor leidet, könnte man meinen, unter Sexualzwang direkt am Schreibtisch, nicht umsonst war der Held seiner frühen Romanserie auf den Namen Rammler (Rabbit) getauft.

Wer in der Kunst vor allem ein Werkzeug der Befreiung und sonst wenig sieht und in der Sexualität der Freiheit schönstes Territorium, wird Updike zujubeln. Aber Befreiungsaktionen sind nur schön in der Morgenröte, vom triumphalen Gestus der
Lady Chatterley ist nichts zu spüren, und Updike versucht ihn auch auf keine Weise. Es geht hier nicht um Moral, die ist bei diesem Thema längst abgeschrieben, ästhetische Vorbehalte sind gleichwohl möglich: Es ist fraglich, ob Pornographie mit den Präzepten erzählerischer Prosa überhaupt vereinbar ist. Die künstlerische Verkürzung der imaginierten Realität, die jede Form von Prosa ins Werk zu setzen hat, nimmt im pornographischen Text, der, als die entsentimentalisierte Fiktion par excellence, nie geschwind genug zur Sache kommen kann, leicht Züge unfreiwilliger Komik an. Der hohe Grad der Explizität paßt einfach nicht zum Tempo und zu den offenkundigen Ellipsen in der beschriebenen Handlung. Nehmen wir einen anderen Roman, der gerade zur Hand ist, keinen geringen allerdings, Virginia Woolfs To the Lighthouse, nicht auszudenken, welche Verheerungen das Eindringen offener Fornikation in Wort und Bild in diesem lichtvollen Sprach- und Seelengewebe angerichtet hätte

In Updikes Band
The Maples fehlt überraschend die Fornikation vor dem Vorhang weitgehend, dahinter findet sie natürlich statt, aber das ist ein anderes Thema und in jedem Fall ästhetisch unbedenklich. The Maples ist eine Sammlung von Erzählungen das Ehepaar Mr. Richard & Mrs. Joan Maples betreffend, am Rande, nicht immer nur am Rande auch ihre Kinder. Es sind einzelne Episoden aus verschiedenen Ehe- und Nachehejahrzehnten, auch über lange Zeit hinweg niedergeschrieben vom Autor und gar nicht als ein Ganzes geplant. Kaum Fornikation und doch ein Updike ganz und gar, das zwingt, den Gedanken ein wenig tiefer zu legen. Offenbar ist es gar nicht so sehr die copulatio, die Updike umtreibt, sondern die copula, the couple, Couples heißt einer seiner bekanntesten Romanen. Updikes Romanwerk steht dieser Hinsicht in der Tradition der Ehe- und Ehebruchsromane des neunzehnten Jahrhundert, es wird unverdrossen geheiratet und deutlich vermehrt geschieden. Freilich singt Updike das alte Lied in neuem Ton als Spottlied. In einer der Maples-Erzählungen wird die Theorie entwickelt, jeder habe das Recht auf einen Ehepartner, einen Geliebten und auf einen Red Herring, jemanden, den die Leute für die Geliebte halten, der es aber nicht ist. Die drei Positionen werden ständig neu besetzt, aus sich heraus oder durch Neuzugänge von außen. Man weiß nicht recht, in welcher Tonart man das lesen soll. Commedia dell’Arte, Arlecchino & Colombina, monotoner Lebensvertreib oder Streiche der Spätgeborenen im Puritan Commonwealth - a musical illusion in which we all hear different things. *- Das Ganze also ein mitleidloses Spottlied, in brüderlicher Weise intoniert. Die kurze Erzählung Nakedness ist voller Echohall aus Kunst und Mythologie: Bosch, Masaccio, Adam & Ewa, Noah, Ham, Susanna, Rodin, Renoir, Molly Bloom, masters of shunga, Manet, Goya, Kate Chopin, wieder Rodin, Michelangelo, Munch und Ingres, ein Hall, der in seiner absurden Dichte keinerlei Entgrenzung bringt oder anstrebt, sondern wie Vogelspottruf durch das Geschehen gellt. Was wir bislang von den Maples erfahren hatten - nie überraschen wir sie beim Lesen eines Buches -, läßt bei dem Ehepaar ein Anspielungsreservoir dieser Art in keiner Weise erwarten, ganz allein Updike ist der Mockingbird, die Spottdrossel.

In extremer Raffung und aus einer hohen Vogelperspektive läßt sich sagen, daß das Thema der Ehe mit ihrer ökonomischen Fundierung, ihrer gesellschaftsstrukturellen Bedeutung und der religiösen und romantischen Überhöhung ihres sexuellen Kernbereichs die Erzählliteratur des neunzehnten Jahrhunderts dominiert hat wie kein anderes, um im zwanzigsten Jahrhundert dann rapide an Bedeutung verliert. Jane Austen kennt praktisch nichts anders, haargenau ist dabei aufgelistet, mit wieviel Pfund jedes Paar im Jahr rechnen kann, die einen hundert, die anderen zehntausend, kein geringer Unterschied, und natürlich fallen die zehntausend Elizabeth Bennet anheim, die an Geld nicht denkt und nur Sinn für die romantische Liebe hat; Tolstoi kniet sich in die Fragen der Ehe mit allem Ernst und unbändigem Erzählvermögen, bei Beckett, Bernhard und Sebald fehlt das Thema dann so gut wie ganz, auch wenn natürlich vereinzelt verheiratetes Personal auftritt.
To the Lighthouse könnte als herrlicher Spagat über den Zeiten gelesen werden, die feinen Bänder zwischen den Eheleuten Leslie & Julia Stephen alias Mr. & Mrs. Ramsay als Aus- und Nachklang eines großen Themas. Das Buch ist so fern von der Idylle wie denkbar und ihr doch so nahe, wie gerechterweise möglich. Mrs. Ramsay ist am Verheiraten junger und auch älterer Leute kaum weniger interessiert als Mrs. Bennet in Pride and Prejudice, alle fragen sich inzwischen aber, wieso denn nur, und die Ehe zwischen Paul und Minta, die, wenn man so will, unter ihren Dach geschmiedet wird, hat dann auch schon fast Updike-Format.

Updike, gestorben erst im einundzwanzigsten Jahrhundert, weigert sich untypisch, das Ringgeviert des Ehethemas zu verlassen, mit nicht nachlassendem und für den entfernten Beobachter nicht immer ganz verständlichen Vergnügen verfolgt er es bis zum Ende der Zeit und auch die Witwen von Eastwick sind naturgemäß ehemalige Ehefrauen. Auch die Maples sind irgendwann geschieden, und sofort neu verheiratet, es herrscht ein horror personae singularis. Die ökonomischen und gesellschaftlichen Aufgaben der Ehe sind an der US-Ostküste erheblich reduziert, die religiöse Formung nicht mehr spürbar, und die Romantik wurde vielleicht in den USA ohnehin weniger entwickelt, man hatte keine Zeit, im neunzehnten Jahrhundert war der wilde Westen des Landes zu erobern – keim Wunder, daß angesichts der soziologischen Entkleidung des Ehebundes der sexuelle Nerv blank liegt. Updike, und das fällt auf, scheint aber wenig interessiert, ihn losgelöst vom Ehethema zu erforschen. Updike erzählt die Welt, die er im Osten der USA vorfindet, und in der er sich, when all is said and done, wohlgefühlt zu haben scheint. Tatsächlich ist es tief erheiternd, wenn Mrs. Maples sich in der Erzählung und über den Tod hinaus, denn die
Marching through Boston für die Bürgerrechtsbewegung engagiert, Mr. Maples spürbar weniger, froh stimmt die Geschichte vom Kohlkopf in Sublimating, auf besondere Weise ergreifend ist Plumbing, die Geschichte von dem verlassenen Haus. Mancher aber, der sich mit Virginia Woolf auf der Insel Skye oder mit Sebald in Norfolk besonders wohlfühlt hat, wird das alles in allem dann aber doch für die traurigen Tropen von Massachusetts halten, aber nichts spricht dagegen, Bücher über traurige Tropen zu schreiben und zu lesen, zumal wenn sie sich so ungeniert komisch geben wie in der letzten Maples-Erzählung Grandparenting.

Nobody belongs to us, except in memory, so schließt das Buch. Kunst ist immer Erinnerung und ein Bemühen, sich schadlos zu halten für die zugemuteten Unmöglichkeiten des Lebens.

* Hörprobe aus Wüstenhagen: Was die Maples betrifft, so lese ich sie als realistisches Bild der US-Gesellschaft dieser Jahre. Ich verstehe, daß man die "Tonart" nicht immer gleich findet, manchmal widerstrebt es einem, dieses Leben als echt und wirklich anzusehen, aber dann macht Updike eine kurze Beobachtung, ein Stocken in einem Satz, eine Geste, die einen inneren Vorgang verrät - und ich bin jedesmal von der Präzision dieser Schilderungen überwältigt. Selbst wenn die Gesellschaft anders lebt als die Updike-Figuren - die inneren Mechanismen der handelnden Personen stimmen immer. Das gilt m.E. bei Updike in fast gleicher Weise wie bei Proust. Vielleicht sollte man Updike lesen als wäre er Proust.

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