Mittwoch, 24. Februar 2010

Im Roggen

Der Autor ist völlig trittfest und tonsicher, die vielen immer wiederkehrenden Kurzmelodien wird man bis zum Schluß nicht leid; that killed me, ist eine dieser Melodien und wäre sie wahr, dann wäre Holden Caulfield schon bald tausend Tode gestorben. Holdens untrügliches moralisch-ästethisches Gespür für das Falsche, für das, was phony ist, steht der Sprachsicherheit des Autors nicht nach. Das Gegenteil von phony ist eben what kills, was geradezu lebensbedrohlich entzückt. Kinder killen sehr oft, fast immer, Frauen und Mädchen, darunter auch Nonnen, nicht selten, Männer so gut wie nie.

Hat man das Buch lange nicht gelesen, setzt sich in der Erinnerung das Roggenfeldbild in seiner poetischen Absurdität als das Schlußbild fest. Das Bild beruht auf einem Mißverständnis, gin a body meet a body, heißt es bei Robert Burns, if a body catch a body hat Holden sich gemerkt und davon ausgehend seine so sehr verquere und schöne Vision vom Fänger im Roggen entworfen. Holdens verssichere kleine Schwester Phoebe weist ihn auf den Fehler hin, aber es gibt nun einmal kein wahres Verstehen ohne ein geringes Mißverstehen. Wäre alles immer richtig verstanden worden, so wären alles Verstehen und mit ihm alle Literatur längst erstorben.

Nach dem Roggenbild folgen aber noch gut zwanzig Seiten, und es gibt natürlich einen letzten Satz: Don’t ever tell anybody anything. If you do, you start missing everybody. Gewohnt ist man an das Gegenteil, man erzählt, um die Dinge festzuhalten, die sich verlieren wollen. I sort of miss everybody I told about. Even old Stradlater and Ackley. I think I even miss that goddam Maurice. Erzählen kann man nur von der unreinen Welt, in der auch Stradlater und Ackley und der gottverfluchte Maurice leben. Bestünde die Welt nur aus dem what kills, was geradezu lebensbedrohlich entzückt, bliebe allenfalls der lyrische Seufzer. Wer aber könnte den, endlos in die Länge gezogen, ertragen.



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