Freitag, 21. November 2008

Updike

Gelesen: Toward the End of Time

This stir of mild misery we call life

Ein tiefes, ein reiches Buch, das seinen Reichtum einer Verarmung verdankt. Das Geschehen ist in das Jahr 2020 verlegt nach einem, bislang noch, fiktiven amerikanisch-chinesischen Krieg, die Menschheit ist stark ausgedünnt, in China offenbar noch stärker als in den USA, aber China interessiert weiter nicht. Staatliche Strukturen sind praktisch verschwunden, oder doch unsichtbar. Die Überlebenden haben Anlaß, sich auf die fundamentalen Bedingungen des Lebens, ihren kosmischen und biologischen Hintergrund zu besinnen. Das Buch ist in fünf Kapitel unterteilt, die Kapitelüberschriften beginnen alle mit einem D: Deer, Dollhouse, Deal, Deaths, Dahlia. Es ist wohl das D des Todes, dem auch die anderen D unterliegen. Die Begegnungen mit dem Deer werden unvergeßliche Seiten abgewonnen, große Szenen des Einverständnisses mit der Kreatur aus einer nicht überbrückbaren Distanz heraus. Unvergeßlich auch die Szene mit der kleinen Schlange, der bei Gartenarbeiten die hintere Körperhälfte abgetrennt wird: Jeremy put the snake gently back into the grass and it slithered off with unimpaired fluency, but I thought that a snake was not a ribbon that could be snapped anywhere: it had an anatomy, intestines and an anus and no more than I could it live long with its nether portion crushed. Tief einprägsam ferner die Erwägungen zum Seelenleben der Pflanzen: How strange must it be, being an autumn flower, waiting while the others – the snowdrops and crocuses, the daisies and loosestrife, the Queen Anne’lace and goldenrod – all have their go at romancing the busy pollinators; and then, as the days shorten and the insect population grows sluggish and terminal but for a few darting dragonflies and aimlessly bobbing butterflies, to unfurl their modest, virginal, starlike attractions.

Und doch oder deswegen, man wünscht sich, die Kriegsfolgen wären noch etwas heftiger ausgefallen, denn wie durch ein Wunder geht das schreckliche amerikanische middle-class life, Updikes erste Muse (aber ist da nicht inzwischen alles gesagt?), im Rhythmus der Dentisten und Schönheitssalons, des Golfspiels und Familienbesuche seinen unveränderten Gang. Und man wünscht sich ferner, die Kastration in Form einer Prostataoperation am Ende des Buches hätte sich vor seinem Beginn abgespielt. Aber was wäre dann gewesen? If I can no longer give her orgasm with my stiff prick, my only use to Gloria is a stiff corpse bequeathing to her liquid capital. – Hier muß man nun doch argwöhnen, daß mehr noch als der Dollar und das ständige Kriegführen die sogenannte sexuelle Befreiung Amerika auf den Hund gebracht und nihilisiert hat.

Oder verrennen wir uns, ist der Vorwurf, den wir dem Autor machen wollen, sein eigener Vorwurf, ist der Endzeitroman des Neuengländers auf seine Art eine nicht weniger radikale Absage an die Menschheit als die Endzeitromane des Texaners McCarthy? Einiges spricht dagegen, an einer Stelle gesteht sich Ben, der Held des Buches, ein, der Gedanke, nicht mehr zu leben, mißfalle ihm weniger als der Gedanke, nicht mehr als Amerikaner zu leben. Oder ist wiederum genau diese Ambivalenz der Kern des Buches? Vieles spricht dafür. Auch den Vorwurf, China interessiere weiter nicht, greift das Buch selbst leise aber in durchaus wahrnehmbaren Tönen auf. Amerikanisches Leben ist nur noch in Neuengland möglich, der mittlere Teil ist radioaktiv verseucht, Texas, Neu Mexiko, Arizona und Kalifornien sind wieder bei Mexiko, die Grenze wird jetzt von der anderen Seite aus bewacht.


Eben lese ich in der Zeitung, nach Einschätzung der Geheimdienste werde bie 2025 eine Verschiebung der Machtverhältnisse in einem ungeahnten Ausmaß stattfinden. Die USA werden nur noch ein Akteur unter anderen sein, China wird die globale Entwicklung beeinflussen wie kein anderes Land. - Diese Rechnung ist noch ohne den amerikanisch-chinesischen Krieg gemacht.


Dahlia:

This planet supports but two life-forms - myself, and an immense fungus that has covered all but the stoniest of available land.

The background radiation - the temperature of the space - has risen to 300C°, or 572F° and will continue to rise as the universe halves in dimension every few million years.

The priests have a saying in their archaic language: Our minds harry God from every covert, and yet he lives within. He is killed, and killed, and yet not.

One day I went looking for the dahlia.

Roger and Marcia in the year past have produced a male child, named Adam.


2 Kommentare:

Christian Runkel hat gesagt…

Ob Amerika wirklich durch zuviel Freiheit in geschlechtlichen Angelegenheiten „nihilisiert“ und „auf den Hund gebracht“ wird, wie Du schreibst? Updike hat diese Freiheit in fast allen seinen Büchern bewußt eingesetzt, um so etwas wie amerikanische Kultur zu beschreiben, in manchen Büchern sogar amerikanische Frömmigkeit.

In seinem jüngst erschienen Roman „The Widows of Eastwick“ liefert er als zumindest teilweise Begründung für seine manche Leser sicherlich abstoßende Freizügigkeit eine eigenartige Passage, in welcher er einer der drei Titelheldinnen über die Schulter sieht, wie sie gerade an einer „Romance“ schreibt, einem Liebesroman. Sie darf – im eigenen Leben eine der typischen updikeschen Libertinen – in dieser Romanform die Liebe leider nur als Sehnsucht beschreiben, nicht als detailliert beschriebenen Akt. Aber sie findet einen Ersatz für die fehlende „explicitness“:

„Though the romance formula did not admit of sexual specifics, it did permit and even encourage detailed accounts of food”.

Und so macht sich die Schriftstellerin-Handpuppe in der Hand des Schriftstellers an die mühevolle Arbeit, ein gewaltiges karibisches Frühstück zu beschreiben, serviert vom Sklaven der schönen Gutsherrin Georgiana du Pelletier, der in der Nacht zuvor ihr Liebhaber war.

„For romance readers food description took the place of explicit sex.”

Es ist also alles eine Frage der “formula” – in einem bestimmten Genre darf der Leser die ausführliche Beschreibung bestimmter Details erwarten. Bei „novels“ gehören eben die Details des Schlafzimmers dazu, vielleicht in Erinnerung an Tolstoi, dem Realisten, der die „Tragödien des Schlafzimmers“ als einen der Hauptgründe für das Elend in der Welt ausgemacht hat. Wenn es stimmt, dann muß der Schriftsteller im Schlafzimmer anwesend sein.

Es wird also nach meinem Eindruck nichts „nihilisiert“ hier, es wird im Gegenteil die „formula“ des Romans, der „novel“ zur Vollendung geführt, und damit auch ein großes Stück Kultur geschaffen.

Peter Oberschelp hat gesagt…

Sebald läßt seinen Helden in einem unveröffentlichten Text, der jetzt im Marbacher Katalog zu lesen ist, das folgende sagen: Die einzig wirkliche Freiheit, die wir, vom Selbstmord abgesehen, vor anderen Tieren haben, ist ja die, uns nicht fortzupflanzen, & es wundert mich ständig, wie wenig sie wahrgenommen wird. Die Regungen des Sympathicus sind anscheinend unkontrollierbar. Mir selbst sind Liebesgeschichten, bis auf wenige, beinahe metaphysische Ausnahmen, grundsätzlich absurd vorgekommen. Was mich betrifft, so lebe ich nur, um von der Erde abheben zu können.

Anschließend wendet wendet er sich der leeren und sinnlosen Weite des Kosmoos zu. Updikes Buch bewegt sich, mit seinen ausgedehnten kosmologischen Betrachtungen auf der gleichen Skala, die Sexualität hat allerdings einen etwas anderen Skalenplatz. Sebalds dichterischer Wunsch nach Abbruch der Prokreation steht sicher vor dem Hintergrund des deutschen Geschichtsbruchs. Als Weltkind im Leben steht man vielleicht am besten wieder einmal in der Mitte.