Sonntag, 14. Dezember 2008

Descartes

Gelesen: Durs Grünbein, Der cartesische Taucher
Teils gelesen, teils wiedergelesen: Descartes, Discours de la Méthode

And I take the one who finds me back to where it all began
when Jesus was the honeymoon and Cain was just the man.

Den Discours de la Méthode, Éditions Garnier Frères, 2, 90 DM, wie heute noch zu lesen ist, habe ich gekauft in einer Zeit, als sie alle noch gleichmäßig vortraten und Stimme und Recht einforderten: Plato, Cusanus, Descartes, Kant, Hegel, Schopenhauer, Marx, Heidegger, Adorno, Sartre und Lévi-Strauss, der inzwischen hundert Jahre alt geworden ist, diese und andere noch, die den Juror, der für sich selbst die endgültige Wahrheit suchte, völlig überforderten. Als dann aus der historischen Perspektive sich einerseits ein Relief ergab und andererseits die Wahrheit sich als essentiell schwankend erwies, wurde vieles weniger dringlich und auch der Discours wanderte in eine der entlegensten Ecken der Bibliothek, ein kleines Wunder, daß er wieder hervorgezogen werden konnte. Es ist nicht so sehr Grünbeins Rettungsversuch des verfemten Rationalisten, der des Verlangen nach erneuter Bekanntschaft hervorrief, sondern die kleine schwarze Gestalt, die er auf den verschiedensten Bildern der niederländischen Meister entdeckt, vornehmlich in den Winterlandschaften der Kleinen Eiszeit, bei Teniers d.J., bei den Bruegels, bei Jan van der Heyden, und bei der es sich jeweils, wie er sich und uns glauben macht, um Descartes handeln könnte. Den kleinen, schwarz gekleideten fremden Mann besser kennen zu lernen, schien es wert, sich dem Staub abgelegter und vergessener Bücher auszusetzen.

In der Vergessenheit und falschen Erinnerung war der Discours zu einer Art der Kritik der Vernunft im Embryonalzustand geworden, Grünbein hält dafür, daß die Nähe zu Montaigne größer ist als die zu Kant. Descartes plaudert den auch zu Anfang angenehm leicht aus seinem tatsächlichen und aus seinem intellektuellen Leben. In der kleinen Eiszeit der Vernunft bewegen sich die Moleküle der Vernunft in übersichtlicher Weise, vier Schritte braucht es für die Erkenntnis, vier Regeln für die Moral, das reicht. Dann aber wird es ernst und doch kantmäßiger, der Rechner wird heruntergefahren: Cogito ergo sum. Beim Restart benötigt Descartes dann aber doch externe Hilfe, Gott, der Klarheit & Distinktheit der Ideen in der Weise belohnt, daß es dann auch die richtigen sind. Die Freunde der Aufklärung unserer Tage glauben in ihrer Mehrzahl nicht mehr an Gott, seltsamerweise aber daran, daß er über kurz oder lang Demokratie und Toleranz in der Weise belohnen wird, daß alles gut wird. Er aber, der laut Cusanus jenseits aller Unterscheidungen ist , also auch jenseits der von Sein und Nichtsein und der auch im Nichtsein spürbar höher ist als alle Vernunft, wird uns diesen Gefallen ganz sicher nicht tun.

Descartes gibt sich betont bescheiden, die Bescheidenheit ist aber wohl ein wenig aufgesetzt. Letztlich hält er sich für Gulliver, der im Land der Liliputaner die Fesseln seiner Erkenntnis sprengen will, und ist doch selbst, wie wir alle unausweichlich, ein Angehöriger des Stammes Liliput, der die eigentlichen Fesseln gar nicht spürt. Grünbein sieht in zwar als die kleine schwarze Gestalt in der Peripherie der Bilder, widmet das abschließende Gedicht im Buche aber Jürgen Habermas und nicht etwa Niklas Luhmann, wie Descartes selbst es vielleicht getan hätte, wenn unter den Wissenschaften, die er in seiner Jugend studieren konnte, auch bereits die Soziologie gewesen wäre. Aber auch die Soziologie wurde wohl erst nach und als eine der Antworten auf Descartes möglich. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn bereits Descartes, in diesem frühen Stadium, den bekannten Stoßseufzer hätte seufzen können: Nie wieder Vernunft!

Und doch, die kleine schwarze Gestalt am Bildrand, losgelöst vom Geschehen und von den Vielen, auf eigenem Weg in der Weiße des Schnees und in der Eiseskälte der Welt. Auf Bruegels Bild von der Winterjägern vielleicht der, der kaum sichbar auf dem Hauptweg fast schon das Dorf erreicht hat, oder der, der weiter rechts hinter dem den letzten Weiher begrenzenden Damm ins Feld hinausstrebt.

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