Donnerstag, 11. Dezember 2008

Fontane

Wiedergelesen: Cécile
Es ist hier mehr Tragödie zu Haus, als Sie wissen.

Hat man einmal begonnen, seinen Favoriten kleine Denkmäler zu setzen, stellt sich bald die Gerechtigkeitsfrage ein: der und der darf nicht vergessen werden, und wo bleiben die Dichterinnen – ein schönes Beispiel dafür, daß sich Gerechtigkeit oft nur in den Köpfen ihrer Spender abspielt, während die, denen sie zuteil werden soll, davon nicht einmal angeweht werden.

Cécile, der Name läßt an die fast transparenten Frauengestalten Sebalds denken, auch an Mme. Landau und Marie de Verneuil, es läßt an Marienbad denken und an Deauville. St. Arnaud, das klingt wie Landau und hat die Höhe von de Verneuil. Der Kurort freilich, in dem hier große Teile des Geschehens sich abspielen, heißt Thale und liegt im Harz, man hat sich also wohl doch getäuscht mit seinen Assoziationen. Herr von Leslie-Gordon aber, der weltkundige preußische Schotte, weiß sofort, was wir nur ahnen: Cécile de St. Arnaud gehört nicht nach Thale, sondern nach Brighton oder Biarritz.

Ein Hauch von Guermantes also, mehr aber nicht, Fontane selbst fühlt sich offenbar wohl im Harz am Fuße des Hexentanzplatzes. Der zum nahezu Metaphysischen erweiterte Glanz der Belle Epoque, der, bei aller rücksichtslosen Bloßstellung ihrer realen Trivialität, über Prousts Gesellschaft liegt, fehlt bei Fontane. Und noch eins, wenn schon eine Verbindung zu Proust hergestellt wurde: In der Recherche fehlen Dialoge in wörtlicher Rede fast vollständig, und die wenigen, auf die wir stoßen, können auf ein Niveau sinken, bei dem auch ein Lektor des Basteiverlags ins Grübeln geraten möchte. Fontanes Romane leben, im krassen Gegensatz dazu, von der ungeschmälert vorgeführten kunstreichen Causerie, die einen Schein von Unverzichtbarkeit und Ewigkeit hat: Je cause, donc je suis et ne dois pas mourir. Und es ist ja wahr, die Causerie ist die reine Gegenwart, und in der reinen Gegenwart gibt es den Tod nicht, sum ergo sum. Die Personen plaudern denn auch unverändert weiter, wenn sie allein sind, Fontane fordert ihnen sehr viel ab hinsichtlich der stilistischen Tadellosigkeit ihrer Selbstgespräche.

Von Cécile geht von Beginn an eine Störung der fortwährenden Plauderei aus, bestimmte, im einzelnen aber zunächst nicht bestimmbare Themenfelder dürfen offenbar nicht berührt werden, ein Geheimnis aus der Vergangenheit stört die reine Gegenwart und zerstört sie schließlich. Die direkte Kommunikation unter Anwesenden verläßt die Ebene der Causerie, greift zurück in Vergangenes und will Zukunft und tritt allmählich insgesamt zurück zugunsten Formen indirekter Kommunikation, Depeschen und Briefe. Die Illusion ewiger Gegenwart im Geplauder, vermutlich nahe an dem, was Benn als das immerfort Pläsirliche bei Fontane gescholten hatte, ist verscheucht. Gegen Ende mutiert die Erzählung vollends zum Briefroman und der Tod fordert umfassend sein Recht ein. Hinter der Schwerelosigkeit der Gegenwart stand fortwährend die Kälte der Regeln und Gesetze, dahinter möglicherweise die Liebe, von der in diesem Buch Cécile und der Hofprediger wissen. Effis Briests Schlußwort zu diesem Schichtenmodell ist allen bekannt: So gut wie jemand sein kann, dem die Liebe fehlt.

Fontane gehört zu den Erzählern des 19. Jahrhunderts, die eine Welt vor Augen haben, die fast im Lot zu sein scheint, das letzte Zurechtrücken aber nicht möglich. Die Einsicht, es sei den Menschen nicht gegeben, eine Lüge zu beseitigen, ohne zehn Wahrheiten zu umzustürzen, wird er kaum von sich gewiesen haben. So beläßt er es im letzten Satz des Romans mangels Besserem beim Frieden Gottes, der über alle Vernunft ist. Religiöse Inbrunst ist kein auffälliges Merkmal Fontanes, eher hat er, wenn er Gott sagt, eine vakante Stelle im Auge, für es keinen hinreichend seriösen Nachfolger gibt. Wie hatten wir bei Updike aus einer ganz anderen Welt im Jahre 2020 gelesen: Our minds harry God from every covert, and yet he lives within. He is killed, and killed, and yet not. – Soviel scheint sich dann doch nicht getan zu haben in mehr als hundert Jahren. Sebald, dessen transparente Frauen uns erst zu Cécile gebracht hatte, schließt die Akten allerdings endgültig bereits im Jahre 2013. Viel Zeit ist also nicht mehr, man hört es ohnehin von verschiedenen Seiten.


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