Montag, 12. Juli 2010

Sancho Pansa

Eine neue Wahrheit über

Die Wahrheit des Sancho Pansa

Sancho Pansa, der sich dessen nie gerühmt hat, gelang es im Laufe der Jahre, durch Bereitstellung einer Menge Ritter- und Räuberromane in den Abend und Nachtstunden einen Teufel, dem er später den Namen Don Quijote gab, derart von sich abzulenken, daß dieser dann haltlos die verrücktesten Taten aufführte, die aber mangels eines vorbestimmten Gegenstandes, der eben Sancho Pansa hätte sein sollen, niemanden schadeten. Sancho Pansa, ein freier Mann, folgte gleichmütig, vielleicht aus einem gewissen Verantwortungsgefühl dem Don Quijote auf seinen Zügen und hatte und hatte davon eine große und nützliche Unterhaltung bis an sein Ende.



Benjamin hat diese Erzählung als Kafkas bedeutendste angesehen, und das mindeste, was man tun kann, ist, nicht in Wettstreit zu treten mit seiner Deutung, und stattdessen einen Seitenweg einzuschlagen. Es fällt auf, daß Cervantes, dem Nelson Goodman die Denotierbarkeit bescheinigt, nicht mit von der Partie ist, während Don Quijote, dem er sie verweigert, eine überraschende erhält: die des Teufels. Goodman wird entgegnen, alles bliebe beim alten, der Teufel sei seinerseits nicht denotierbar, aber das kann er nun wirklich nicht wissen.

Sancho Pansa wird zum Autor des Don Quijote, schlüpft also in die Rolle des Cervantes, der daraufhin zusammen mit Sancho das Privileg der Denotierbarkeit im Sinne Goodmans ersichtlich eingebüßt hat. Es wird ihn nicht besonders traurig stimmen, und ob die Toten denotierbar sind, ist ohnehin die Frage.

Sancho Pansa habe sich dessen, also seiner Autorenschaft, nie gerühmt, das klingt wie eine Notiz nebenher, die Kafka sich für einen möglichen späteren Gebrauch am Zeilenrand gemacht hat. Bei näherer Betrachtung aber fragt sich in der Tat, warum hätte Sancho sich rühmen sollen, er hat sich schreibend nur selbst geholfen und von seinem Dämon befreit, indem er ihn fiktionalisiert auf Abenteuerreise schickt. Das ist anerkannt als eine mögliche Quelle der Autorenschaft, bei Sebald heißt es im gleichen Sinne, daß ihm die nicht mehr von der gewohnheitsmäßigen Schreibarbeit ausgefüllten Tage ungemein lang wurden, und daß er tatsächlich nicht mehr wußte, wohin sich wenden. Zu rühmen gibt es dabei nichts, denn letztlich hat er wohl nicht gewußt, ob er als Autor und Gefolgsmann seiner Figuren klüger oder verrückter geworden ist. Der Autor kann bereits froh und beruhigt sein, wenn er, wie Don Quijote, niemandem schadet.

Literatur kommt aus Literatur, die heilsame Fiktionalisierung des Dämonen setzt die Bereitstellung einer Menge Ritter- und Räuberromane voraus. Abend- und Nachtstunden: die Stunden des Dämons und die Stunden, in denen Kafka vorzugsweise den seinen bekämpft hat.

Ein freier Mann: eine weitere dieser anscheinend willkürlichen Zuschreibungen aus dem Off, die Kafkas Zeilen Brise und Aufwind verleihen, eine Frische, die sich auch dann nicht verliert, wenn sich das Textstück als semantisch überaus integriert erweist. In der Tat: solange er schreibt und den Dämonen verscheucht, ist der Autor befreit und frei.

Neben Cervantes fehlt eine weitere Person im Bilde, die des Lesers. Ist nicht vorzugsweise er es, der von den verrücktesten Taten eine große und nützliche Unterhaltung hat bis an sein Ende? Cervantes muß sich seinen Platz im Inneren des Sancho Pansa teilen. Sancho ist weder Cervantes noch der Leser, sondern das eigenständige Modell zwischen der Phantasie des Autors und derjenigen des Lesers, in dem die verrückten Geschichten sich einrichten müssen, sollen sie denn gelingen.

Die Wahrheit über Sancho Pansa ist, neben vielem anderem, die bündigste Erzählung vom Entstehen und der heilsamen Kraft der Literatur.

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