Donnerstag, 5. März 2009

Papusza


Gelesen: Colum McCann, Zoli

Auf einigen der Bilder sind Zigeuner zu sehen, die man zusammengefangen hat. Freundlich schauen sie durch den Stacheldraht, irgendwo weit hinten in der Slowakei.

Jestem dumna że jestem Cyganką

Beim ziellosen Netzstöbern war ich auf die mich besonders anrührende Photographie einer noch jungen fremdartigen Frau gestoßen. Die Augen hatte sie, versunken in sich und ihr Geheimnis, unter gesenkten Lidern abwärts gerichtet. Die oberhalb der Gürtellinie leicht verschränkten Arme hatten die Zeit angehalten. Auf einer am Hals getragenen, tief über das Kleid aus geblümten Stoff herabhängenden Kette sind die Gedanken der vergangenen Stunde aufgefädelt, zahlreich und alle sehr fein. Es handelte sich, wie dann zu lesen war, um die aus Polen stammende Zigeunerdichterin Papusza alias Bronislawa Wajs, über die oder von der ich bis dahin noch nie auch nur ein einziges Wort gehört oder gelesen hatte. Zwei, drei Seiten weiter war dann zu erfahren, der in Amerika lebende irische Autor Colum McCann habe in seinem Roman Zoli mehr oder weniger das Schicksal der Papusza nachgezeichnet. Ein europäisches Schicksal, Europa mit den Augen einer Zigeunerin; nicht daß es uns vergönnt wäre, mit diesen Augen zu sehen.

Colum McCann, eingedeutscht: die Taube als Sohn des Wolfsjungen – ein rechter Indianername möchte man meinen. Winnetou I ist eines der Bücher, das Zoli-Papusza liest, nachdem sie entgegen der Zigeunersitte, wie sie noch in Kraft war in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, Lesen gelernt hat. Das Buch wurde, wie viele andere Bücher, die im Indianer die edle Seele entdeckten, geschrieben, als zeitgleich die Ureinwohner Amerikas weitgehend ausgerottet wurden, und als im Jahre 1885 der Zigeunerbaron seine Premiere hatte, deutete auch das keineswegs auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den seßhaften Europäern und dem aus Indien zugewanderten unsteten Volk hin. Man mag diese leichten Verklärungen in Trivialroman und Operette als besondere Perfidie der gern so genannten Bourgeoisie ansehen, aber vielleicht waren es auch erste bunte Bänder, die über einen Abgrund geworfen wurden. Denn es ist ja nicht so, daß die europäischen Einwanderer in Amerika es leicht gehabt hätten mit den in Verhältnissen der Steinzeit lebenden Stämmen, Verständigung war, auch bei gutem Willen, extrem schwierig, wir wissen es aus den besseren Filmen über die Indianer, Filmen in der Art von Robert Aldrichs Ulzana's Raid. Der in McCanns Roman geschilderte Besuch eines Zigeunerlagers in der Slowakei im Jahre 2003 steht an Befremdlichkeit und Gefahr dem Besuch eines Indianerlagers hundertfünfzig Jahre zuvor kaum nach.

Bei leichthin über die kulturellen Abgründe geworfenen bunten Bändchen und Girlanden ist es in der Folge nicht geblieben. Der Linguistik ist der Nachweis zu verdanken, daß es keine wilden, primitiven Sprachen gibt, Sprache, das maßgeblichste kulturelle Werkzeug und die Seele der Menschheit ist überall auf dem gleichen Niveau, allesamt Wunderwerke an Komplexität und Schönheit. Lévi-Strauss hat das wilde Denken definiert, aber gerade nicht als primitive Vorstufe und Zurückgebliebenheit, sondern als ein Denken von gleicher Schärfe und Stringenz wie das neuzeitliche, allerdings, so muß es uns erscheinen, mit weniger erfolgreichem Weltkontakt. Das ist nun inzwischen längst glattgezogen durch den in Recht gegossenen Antirassismus und die ergänzende Vorstellung des Multikulturalismus, die allerdings wohl wenig anderes meint als die ungeduldige Erwartung, daß alle ernsthafteren kulturellen Unterschiede unter der Glocke des globalen Konsumismus schon bald verdampft sein werden.

Von ähnlichen Hoffnungen unter der Glocke des Kommunismus, offenbar ein Zwilling des Konsumismus innerhalb der großen Schar der Kinder der Aufklärung, und ihrem schlimmen Scheitern wird in dem Buch erzählt. Im ersten Enthusiasmus der Befreiung vom Faschismus sind alle vereint, Citizens of Gypsie Origin, Come Join Us. Nicht zuletzt Zoli-Papusza scheint aus der Poesie, aus dem Herzen der Sprache, aus dem Herzen der Menschheit, aus dem Herzen der Schönheit heraus, eine Brücke zu bauen. Tragfähig ist sie natürlich nicht, es endet damit, daß die Citizens of Gypsie Origin in Wohntürme eingepfercht und Zoli von ihrem Volk verstoßen wird. Sie flieht unter leidvollen Umständen aus der Slowakei und vermag die Lyrik ihres Lebens zu retten, als sie Enrico trifft, aus reichem Veroneser Haus, der seinen Lebensunterhalt als Schmuggler in den Tiroler Alpen verdient, a gypsie at heart. Zu schön eigentlich, aber wir sind zu froh über diese gute Wendung, als daß wir kleinlich werten möchten.

Zoli erreicht auch noch ihr Sehnsuchtsziel Paris, das sie sich ohne rechte Sehnsucht schon früh selbst verordnet hatte. Anlaß ist ein Kongreß der Citizens of Gypsie Origin, an dessen Organisation ihre Tochter Francesca maßgeblich ist. Zoli flieht aus der Veranstaltung und findet am Abend in einer trunkenen Kumpanei für einen Augenblick zurück zu ihrer Gestalt als junger Zigeunersängerin und -dichterin.

Am Ende des Buches angelangt, sehen wir nicht mehr nur auf das Bild der Papusza, wir sind in ihrem Bild, wir können und wollen nach wie vor nicht behaupten, daß wir mit ihren Augen sehen, derartige Intimitäten verbietet der Roman sich und uns, aber wir wissen, daß die Welt schön wird, wann immer ein schöner Blick auf sie fällt, auch wenn er eigentlich fast nur Schlimmes sieht.

Papusza, Bronislawa Wajs, hat ihre zweite Lebenshälfte nicht in Oberitalien verbracht, sondern im westpolnischen Gorzów Wielkopolski, Landsberg an der Warthe. So steht es jedenfalls auf einer Gedenktafel, die man ihr zu Ehren dort angebracht hat. Für einen glücklichen Verlauf ihrer späteren Tage finden sich keine Hinweise. Die gesamte Romanerzählung nach dem Verlassen der Slowakei ist völlig von dem realen Vorbild abgelöst. Leider hat es für Papusza wohl auch keinen veronesischen Prinzen gegeben, no gypsie at heart, żaden cygan sercem.

1 Kommentar:

Christian Runkel hat gesagt…

Habe das Buch sogleich bestellt!