Sonntag, 4. Oktober 2009

Herta M.

Von den deutschsprachigen Autoren haben einen Nobelpreis erhalten: Mommsen, Eucken, Heyse, Hauptmann, Spitteler, Thomas Mann, Hesse, Nelly Sachs, Böll, Canetti, Grass, Elfriede Jelinek und jetzt Herta Müller. Nicht bekommen haben ihn: Kafka, Musil, Robert Walser, Celan, Brecht, Benn, Bernhard, Sebald. Wirft man alle heraus aus der ersten Liste bis auf Thomas Mann, ohne den es nun einmal nicht geht, und fügt die von der zweiten Liste ein, stehen wir deutlich besser da vor den Augen der Welt. Vielleicht dürfen auch Hauptmann und Canetti bleiben, das muß man sich genau überlegen. Daß Böll immer so ein guter Mensch war, darf uns nicht beeindrucken. Aber eine Frau muß her. Über eine Virginia Woolf, die den Preis naturgemäß auch nicht erhalten hat, verfügen wir nicht, die Jelinek kann ihn auf keinen Fall behalten, über Nelly Sachs ist hier wenig zu sagen, wie ist es also mit Herta Müller? Da sie den Preis gerade erst bekommen hat, würde ihr die Rückgabe ohnedies besonders schwer fallen.
BlocksatzDie Erinnerung an Aufenthalte in den realsozialistischen Ländern, in Ceausescus Rumänien ist eingelagert in das Bild betonierter Flächen, durch die die Vegetation bricht, Ruderalflächen, Ödland. Die Stauden, die Halme verkrüppelt und verdreckt, dann wieder von hartnäckiger, schmerzhafter Schönheit. Wo Schutt liegt, wo alles rostet, zerbricht und zerfällt, blüht die Clematis am schönsten. Hebt man den Blick, Wohnkäfige am Horizont für die Massenmenschhaltung und dahinter irrwitzige Paläste und die stillen Straßen der Macht, wo der Wind, wenn er anstößt Angst hat. Es ist, als würde Herta Müllers Prosa dieses Erinnerungsbild unmittelbar aufnehmen. Sie erzählt von Betonplattenschicksalen, zubetonierten Menschen und durch die aufgebrochenen Sätze dringen unaufhaltsam die Metaphern vor, verkrüppelt und eingestaubt, dann wieder von schmerzhafter Schönheit.

Im Bukarester Hotel stand ein Fernsehapparat, am Abend zwei Stunden Sendezeit, leerer als das Nichts, nur ein Hauptdarsteller, der Mann mit der Stirnlocke, der Mann mit den silbernen Gehirnzellen, der geliebteste Sohn des Volkes, eine Hauptdarstellerin nur, die geliebte Frau des geliebtesten Volkssohns, des Mannes mit der Stirnlocke. Aus der Auslage des Buchladens schauetn nur zwei Autoren, der Mann mit der Stirnlocke, der Mann mit den silbernen Gehirnzellen, der geliebteste Sohn des Volkes für die Sozialkunde und den Rest der Kulturdisziplinen, seine geliebte Frau für die Chemie und sonstigen Naturwissenschaften. Die Stirnlocke glänzt. Sie sieht jeden Tag ins Land. Der Bilderrahmen des Diktators ist jeden Tag in der Zeitung so groß wie der halbe Tisch. Unter der Stirnlocke ist das Gesicht wie beide Hände, wenn Adina sie auf den Handrücken nebeneinander legt, geradeaus ins Leere sieht und den eigenen Atem wieder verschluckt. Die Angler fischen ertrunkenes Gras aus dem Fluß, zerfressene Socken und verquollene Unterhosen. Und einmal am Tag, wenn die Ruten krumm und die Schnüre von Grund besoffen sind, einen schmierigen Fisch. Es könnte eine tote Katze sein.

Den Preis, so wie er ist, darf Herta M. in jedem Fall behalten, daran ist nicht zu rütteln, und vielleicht darf sie sogar daran denken zurückzukehren zu denen auf der anderen Seite, die den Preis nicht erhalten haben - zu Kafka, Musil, Robert Walser, Celan, Brecht, Benn, Bernhard, Sebald, Virginia Woolf - und die, wer weiß, schon darauf warten, sie als die ihre zu begrüßen.

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