Montag, 20. Juli 2009

Grand Prix

Für einen treuen Leser ist ein Schriftsteller eigentlich erst dann tot, wenn das endgültig letzte von ihm erschienene Buch zu Ende gelesen ist – nur gut, daß wir nicht wissen können, wann das sein wird. Von Thomas Bernhard ist jetzt im zwanzigsten Jahr seines Todes ein originales, wenn auch, zumindest in Teilen, dem Publikum bereits vor der Veröffentlichung nicht gänzlich unbekanntes autobiographisches Prosawerk erschienen: Meine Preise. Es handelt sich bei den Preisen im einzelnen um den Grillparzerpreis, die Ehrengabe des Kulturkreises des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, den Literaturpreis der Freien und Hansestadt Bremen, den Julius-Campe-Preis, den Österreichischen Staatspreis für Literatur, sicher der Höhepunkt und daher auch zentral plaziert im Buch, den Anton Wildgans-Preis, den Franz-Theodor-Csokor-Preis, den Literaturpreis der Bundeswirtschaftkammer und schließlich den Büchnerpreis, Deutschlands Bester. Die Tante, Hedwig Stavianicek, der vor allem es gilt eine Freude zu machen, ist so gut wie immer dabei bei den Festlichkeiten. Man kann sagen, es ist das bestaufgelegte Buch Bernhards bislang, bedauerlich nur in jeder Beziehung, daß der Nobelpreis in der Auflistung fehlt.

Die Verleihungsprozeduren gehen fast durchweg skurril bis grotesk vonstatten, auf Seiten des Dichters wird als Grund für die Preisannahme ausschließlich Geldgier genannt, der Grillparzerpreis war insofern eine besondere Enttäuschung als er, wie sich herausstellt, ohne Preissumme vergeben wird. Ansonsten sind die Preissummen immer zu klein und bringen auch nicht immer das reine Glück. Die fünftausend Mark des Julius-Campe-Preises werden umstandslos und vollständig in einen Triumph Herald umgesetzt, mit dem der Dichter nur wenig später in Jugoslawien einen Totalschaden erleidet, ein motorisiertes Wiederaufleben der unvergeßlichen Fahrradhavarie aus Ein Kind. Die Ehrengabe des Kulturkreises des Bundesverbandes der Deutschen Industrie darf er mit der Dichterin Elisabeth Borchers teilen und das Pärchen sieht sich auf dem Podium dann mit Frau Bernhard und Herr Borchers angeredet, ein Beleg für Benns Grundeinssicht, daß sich keine zwei Bereiche auf der Welt unversöhnlicher gegenüberstehen als Kunst und Kultur als Kulturbetrieb. Damit ist auch schon die Grundlage für den Österreichischen Staatspreis gelegt, bei dem es Bernhard gelingt, den Minister Piffl-Percevic, der direkt aus einer Stellung bei der steiermärkischen Landwirtschaftskammer ins Kulturressort berufen worden war, mit einer insgesamt vielleicht auf ca. vier Minuten bemessenen Ansprache bereits nach zwei Minuten als Wutschnaubenden aus dem Saal zu vertreiben. Die Ansprache ist metaphysisch-wild, weit mehr Rhythmus als Verstehbares: Es ist nichts zu loben, nichts zu verdammen, nichts anzuklagen, aber es ist vieles lächerlich; es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt. Man geht durch das Leben, beeindruckt, unbeeindruckt, durch die Szenen, alles ist austauschbar, im Requisitenstaat ... da war der Minister wohl schon entsprungen, man weiß nicht wieso und wohin. Die nur vierzehn Tage später angesetzte Verleihung des Anton Wildgans-Preises entfällt daraufhin, der Dichter erhält den Preisscheck wortlos per Post, aus seiner Sicht die optimale Vergabepraxis. Versöhnlich auch die Verleihung des Literaturpreises der Bundeswirtschaftskammer, denn hier versteht sich der Dichter nicht als Literat, sondern als vorbildlicher ehemaliger Kaufmannslehrling geehrt.

Für den Herbst 2009 ist eine weitere Bernhardpublikation Städtebeschimpfungen angekündigt, eine Blütenlese, nichts Originales. Ausgenommen von der Verdammung der Städte und gerettet sind jetzt schon Hamburg, wo die Alster entspringt und wo der Dichter als Stadt genau das gefunden hat, was der Volksmund die Liebe auf den ersten Blick nennt, sowie auch Warschau, die schöne und aufregende und unheimliche Stadt. Was Warschau anbelangt, so freut uns die unergründliche Gnadenwillkür des Dichters ganz besonders.

1 Kommentar:

Christian Runkel hat gesagt…

Man kann aus "Grand Prix" die Hoffnung auf die Überwindung des Todes herauslesen. Ich hatte das eigenartigerweise sogleich nach dem Lesen der Überschrift und der ersten Zeilen auch so erwartet. Da hatte ich allerdings eher an die Wiederauferstehung des größten aller Grand-Prix-Gewinner gedacht, unseres Helden aus Kerpen bei Köln.