Donnerstag, 2. Juli 2009

Ná beidh ár leithéidi arís ann

Erneut durchgeblättert: Brian Ó Nualláin, An Béal Bocht

Name: Brian Ó Nualláin, anglisierter Name: Brian O'Nolan, Pseudonym für die englischsprachige Produktion: Flann O'Brien, Pseudonym für die Produktion in irischer Sprache: Myles na gCopaleen, Myles, ist der Großvater Spartas gemeint? Myles na gCapaillín, Myles von den Pferdchen, wieso das nun wieder? Brian Ó Nualláin also, neben Joyce und Beckett ein weiterer großer Meister der irischen klassischen Moderne, vor Joyce hat er keinen übertriebenen Respekt gehabt, im Dalkey Archive läßt er ihn, gereift und geläutert, die Unterhosen der Jesuiten stopfen.

An Béal Bocht, der arme Mund, ist Ó Nualláins einziger Roman in irischer Sprache. An béal bocht a chur ort, den armen Mund aufsetzen, eine Redewendung, die besagt, daß man Leid und Unbill in ostentativer Weise vorträgt und damit in einer Manier, die, wenn man es so sehen will, die irische Volksliteratur des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts prägt, die aufgeschriebenen Lebensberichte einfacher Menschen, also Tomás Ó Criomthains An t-Oileánach (Der Inselmann), Peig Sayers‘ Peig, Muiris Ó Súilleabháins Fiche Bliain ag Fás (Zwanzig Jahre des Reifens) u.a. Ó Nualláins Buch gilt als Parodie insbesondere des Inselmanns mit der ständig wiederkehrenden Formel Ná beidh ár leithéidi arís ann: unseresgleichen wird es nimmer mehr geben.

Über den Begriff der Parodie müßte man sich allerdings verständigen. Es ist nicht gut vorstellbar, daß der Literaturprofi Ó Nualláin in vernichtender Absicht über den schlichten Ó Criomthain hergefallen ist, er hat ihn vielmehr geschätzt, wie sollte es auch anders sein. Andererseits konnte Ó Nualláin, Autor unter anderem des modernistischen Romans At Swim-Two-Birds, sich des armen Irlands – niemand auf der Insel hatte An Gorta Mór, die große Hungersnot zwischen 1845 und 1851 mit mehr als einer Million Toten vergessen – schlecht in der abstandslosen und zugleich formelhaften Weise der Volkserzähler annehmen. Ó Nualláins Ausweg war das Aufgreifen der volkstümlichen Erzählformeln und ihre Bewahrung in satirische Übersteigerung und Übertreibungskunst, an der Thomas Bernhard, wenn er das Buch gelesen haben sollte, nur Freude hätte haben können.

Bei der Einschulung bekommen alle Irenkinder den Einheitsnamen Jams O’Donnell verpaßt und eingebläut mit einem Holzprügel, so daß, wie es im lakonischen Fazit heißt, an diesem Tag kein junger Irenschädel in der Gegend ungespalten bleib, ní raibh aon chloigeann óg sa dúiche gan scoilteadh an lá sin. Der Spott ist da, aber die Klage bleibt, viel anders ist es bei der edukativen Zivilisierung der Iren nicht zugegangen.

Die Gaeilgeoirí, die Freunde der irischen Sprache, sind entzückt, als sie im Dorf des kleinen Jams O’Donnell auf das reinste Irisch stoßen, daß sie je gehört haben, denn wenn Irisch an sich schon schwer ist, so ist das reinste Irisch so gut wie unverständlich, thuig sé go mbíonn an dea-Ghaeilge deacair agus an Ghaeilge is fearr beagnach dothuigthe. So entgeht ihnen, daß sie mit ihrem Grammophon das Grunzen eines streunenden Schweins aufgenommen haben, das sich im Dunkel der Nacht unter die Dorfbewohner gemischt hatte, gurb an mhuc sheachráin sin againne a dúirt pé focail a bhi ráite an oíche sin. Der Spott ist da, aber die Klage bleibt, denn was ist trauriger als eine Sprache mit reicher Tradition tief in die Jahrtausende hinein, die spezielle Enthusiasten braucht, um notdürftig am Leben erhalten zu werden.

Die Elegie in der Obhut der Satire. Ná beidh a leithéid arís ann, desgleichen wird es nicht mehr geben – ist es nicht eine der Quellen alles Erzählens, das unwiederbringlich Verlorene für einen Augenblick wenigstens noch festzuhalten? Gerade heute, wo täglich Tierarten, Pflanzenarten, Lebensarten, Sprachen vor unseren Augen wegglobalisiert werden, müßte das einleuchten. Weg mit Schaden, werden andere sagen, an die Stelle des Alten tritt auch immer wieder Neues: Wind- und Sonnenenergieparks, quadratmeilengroße Treibhäuser für unsere Paprikaschoten, Klonschafe, Gärtner mit lärmendem Höllengerät und Gebläse, Wunderwerke der Architektur, Regietheater, Systemtheorie, immer neue Wunderwerke der Literatur.

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