Samstag, 18. Juli 2009

Theaterkämpfe

In Abwehr einer Rede, die Daniel Kehlmann bei den 89. Salzburger Festspielen gehalten hat und in der er das Regietheater nicht über die Maßen preist, trägt Peter Michalzik in der FR das folgende Prosastück zusammen:

Diese Rede ist ein Musterbeispiel dumpf-reaktionären Denkens, ressentimentgeladen und argumentfrei zugleich. Sie wirkt in ihrem Bemühen, die Welt wieder zurechtzurücken, die Dinge wieder in ihre natürliche Ordnung zu bringen, herrlich harmlos, und doch laufen einem, wenn man genau hinhört, kalte Schauer den Rücken herunter. Kehlmann phantasiert sich, in zielvoller Selbstverniedlichung in die Rolle des Kleinbürgers als Kunstrichter. Der Applaus ist ihm gewiß. Vielleicht aber erschrickt auch Kehlmann einmal, wenn er aufwacht, darüber, woher der Applaus vor allem kommt.

Der ganze Text ist um einiges ausführlicher, aber es reicht. Jemandem, der unter keinen Umständen noch ein Theater betreten würde, ob nun eine werktreue oder eine regiebetonte Aufführung droht, kann die Auseinandersetzung in der Sache herzlich gleichgültig sein und ist es auch. Was fasziniert, ist das sprachliche Arsenal, das den Sieg gewährleisten soll.

Seitdem das Publikum vermehrt die Scholien Gómez Dávilas liest, der sich selbst frohen Herzens und völlig zurecht als reaktionär einordnet, hat die Vokabel ihre absolute Knockoutqualität eingebüßt. Da hilft es auch nicht, routinemäßig dumpf als Präfix einzusetzen, so als sei das eine feste Wortverbindung. Halten wir uns weiter an Dávila als Gewährsmann des Reaktionären, so muß man den Inhalten seiner Aphorismen nicht folgen und tut es in den meisten Fällen auch besser nicht, niemand kann sie aber in ihrer funkelnden Präzision als dumpf bezeichnen. Auch ressentimentgeladen ist wohl nur aus alter Gewohnheit und auf gut Glück hingeschrieben. Kehlmanns Rede wird als argumentfrei dargestellt, mit welchem Argument und welcher Beschreibung wird aber dann das gute Gehör eingeführt, das zu den Kälteschauern am Rücken führt? Nach einer flüchtigen Skizze der Heilen Welt, die wir aus nie verdeutlichten Gründen fürchten müssen wie je ein Teufel das Wasser, tritt er auf, der ewige und niemals versagende Kleinbürger, da müssen die Gegner doch wohl das Handtuch werfen. Und zur Sicherheit und für alle Fälle dann noch der Applaus von der falschen Seite. Wohin geht diese dunkle Drohung, sind es die harmlosen Inhaber von Theaterabonnements, die Michalzik ins Visier nimmt, ist es das debile Millionenpublikum sogenannter Volksmusiksendungen, das in einer einmaligen kulturellen Aufwallung Kehlmann zujubeln könnte, oder ist es in schrecklicher Konsequenz gar so - was wir nicht ahnen, Michalzik aber klar und deutlich sieht -, daß Zurückhaltung gegenüber dem Regietheater unmittelbar den Neonazis in die Hände spielt?

Im Zuge der sogenannten Wiedergutmachung ist man bei einer Bregenzer Nabucco-Inszenierung Mitte der neunziger Jahre auf den Gedanken gekommen, aus den Sklaven richtige Juden in Zebraanzügen zu machen. Ich habe, was mich heute noch reut, teilgenommen an einer Veranstaltung des Festspielrahmenprogramms und bin, bis die letzten Besucher in den Eingängen verschwunden waren, unschlüssig auf dem Vorplatz herumgestanden, unschlüssig, weil es mir mit jedem vergehenden Jahr unmöglicher wird, mich unter ein Publikum zu mischen; unschlüssig, weil ich den Chor der verkleideten KZ-Häftlinge nicht sehen wollte.

Kehlmann ist ein bekennender Parteigänger Sebalds, auch der ein dumpf-reaktionärer Kleinbürger voller Ressentiments? Ein gealterter und offenbar angeschlagener Boxer teilt reflexhaft aus, landet keinen Treffer und sieht sich selbst als Champion und Sieger im Ring.

1 Kommentar:

Christian Runkel hat gesagt…

Der streitbare Theologe Ernst Käsemann hat einmal in einer Vorlesung in Tübingen gesagt, daß man die Qualität einer Polemik daran messen kann, ob man den angegriffenen Gegner aus ihr erkennt. Die Polemik von Michalzik fällt durch, wenn man dieses Raster auf sie anwendet.