Gelesen: Martin Mosebach, Die Türkin
Wenn in Deutschland bei einer Auseinandersetzung erst einmal der Vorwurf des Ästhetizismus gefallen ist, dann weiß man schon, welche Partei verloren hat, schreibt Martin Mosebach in einem seiner Aufsätze über Liturgie und Kirchenbau, Grund genug für die Verlierertruppe, auch Mosebach den Erzähler kennen zu lernen. Er, Mosebach, sei ein begnadeter Stilist, liest man auf dem Einbanddeckel der Türkin, ein reichlich unbestimmter Rechtsbegriff. Nicht gemeint sind offenbar die Extremstilisten in der Art von Kafka

Krieg der Kulturen, interkulturelle Begegnung, Multikulturalismus – Brocken, die der Ochs Globalisierung aus dem Berg geschlagen hat, vor dem ersteht, um sie dann gleich zu zertreten und unbrauchbar zu machen. Mosebach baut sein eigenes erzählerisches Bild auf, heiter und ohne diese untauglichen Brocken auch nur zu beachten.
Frankfurt am Main ist Schauplatz einer amour en guise de passion zwischen einem deutschen Nachwuchskunstwissenschaftler und einer türkischen Wäscherin, in die er sich unverzüglich verliebt. Sie wird in die Türkei, genauer: nach Lykien verbracht, er folgt ihr. Die Balance der Welten ist herzustellen, immer empfindlich gestört dadurch, daß Europa seine bevorzugten Werte als universell deklariert und damit auch hinter den Linien plaziert, ein listige Re-Entry schon fast in dem Sinne, wie Luhmann den Begriff vom megalomanen Spencer-Brown entlehnt hat. Megalomanie und die Listen des Odysseus, unverzichtbare europäische Grundlagen, und anderswo sieht es keinesfalls besser aus.
Zum Opfer gebracht werden soll der Wert der Individualisierung. Wir westlichen Zivilisationsmenschen wissen, von mir aus auch nur im geheimen, daß uns diese Charakterkostüme in Wahrheit um den Leib herumschlottern, daß da noch Finger in den Kragen passen. Aber hier war es anders. Turhan war der Frauenfreund und Schürzenjäger von morgens bis abends, auch wenn er gar keine Frau zu Gesicht bekam, und Ünal war stets ernsthaft und machte keine Späße. Ohne diese klar ausgeprägte Form der Person würde ich in den Augen Pupusehs sehr unvorteilhaft, ja vielleicht überhaupt nicht wirken. Turhan und Ünal waren Vorbilder. Seine Form gewinnt er dann allerdings erst, nachdem er Pupuseh verloren hat: „Ich bin der Mann, der Pupuseh liebt“ – so war es richtig, es war eine Definition. - Die Definition klingt gerade so wie I am The man who shot Liberty Valance – und da wissen wir, daß es der andere war.
Pupuseh wird für den Icherzähler der Frauenname schlechthin. Es sei kein ursprünglich türkischer Name, wird angedeutet. Pupuseh hat den gleichen Konsonantenaufbau wie Papusza in der Romanisprache, in zwei Sprachen derselben Familie könnte es das gleiche Wort mit gleicher Bedeutung sein. Will Mosebach uns heimlich bis an die Schwelle Indiens führen? Aber niemand, niemand kann nach Indien führen, die Tore Indiens sind unerreichbar und die Entführung aus dem Serail findet nicht statt. Und so blieb denn auch die Ausbeute dieser Tage in Grenzen. Ich brachte eine kleine Narbe an der Stirn nach Deutschland mit, zurück ließ ich eine Zukunft. In Frankfurt holte mich Zeynab vom Flughafen ab.
Diese letzten Zeilen des Buches haben es in sich. Welche Zukunft hat er zurückgelassen, die unmögliche mit Pupuseh oder die mögliche beim Antiquar Hirsch in New York – aber den Verlust dieser Zukunft hatte er schon längst als Gewinn verbucht. Winners take nothing und schon gar nicht erhalten sie Zutritt zu den schönen Büchern, selbst diese Zeilen wurden bereits eingangs den Verlierern gewidmet. Wenn Pupuseh der Frauenname schlechthin ist, ist dann nicht auch Zeynab, die bislang als freundliche Kupplerin tätig war, Pupuseh? Über ihre erotischen Qualitäten war sich der Erzähler schon während der langen Telephonate zwischen Lykien und Hessen klar geworden.
1 Kommentar:
Ein ganz wunderbarer Kommentar, durch den sich viele Türen aus dem Buch heraus auftun, mehr als es einem gewöhnlichen Leser wie mir je auffallen würden! Besonders der Weg nach Indien hat es mir angetan, auch wenn Du ihn gleich wieder verstellt hast. Gottes ist der Orient, der ganze, bis zum Hindukusch. Daran halte ich fest.
Hinter vorgehaltener Hand muß ich Dir berichten – jetzt, wo Du das Buch gelesen hast – daß mir auf einer Geburtstagsfeier eine Dame begegnet ist, die den Autor aus Stundentenzeiten persönlich kennt. Da schließen sich einige Türen wieder, andere öffnen sich – mehr demnächst per eMail!
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